Für die Einschätzung künftiger Strompreise ist eine Langfristprognose der Stromverbrauchsentwicklung unentbehrlich. Feste Strompreise sind an die Preise am Terminmarkt gekoppelt, Preise für PPA größtenteils ebenfalls. Die Terminpreise wiederum spiegeln die Erwartung des Marktes an die künftigen Spotpreise wider. Die Spotpreise für Strom hängen vom Stromverbrauch, dem Stromangebot, sowie den Preisen für Steinkohle, Erdgas und den Emissionsrechten (EU-ETS) ab. Langfristige Stromverbrauchsentwicklung bedeutet hier bis 2030.
In der Vergangenheit war der Stromverbrauch im Jahresvergleich nur geringen Schwankungen unterworfen. Haupteinflussfaktoren waren das Wetter und die wirtschaftliche Entwicklung in der Industrie. Kalte Winter erhöhten den Stromverbrauch, weil es auf die eine oder andere Art Strombedarf zum Heizen gab (Nachtspeicherheizungen, einige Wärmepumpen, Direktheizungen, Pumpstrom für fossile Heizungen). Heiße Sommer hingegen erhöhen den Bedarf für Klimatisierung. Dabei ist das Augenmerk grundsätzlich nicht nur auf Deutschland, sondern auch auf die Nachbarländer zu richten.
Seit der Corona-Krise zeigen die Veränderungen des Strombedarfs größere Ausschläge, und gleichzeitig ist die Prognose des Stromverbrauchs komplexer und ungenauer geworden. Da in vielen Unternehmen langfristige Entscheidungen über die Energieversorgung zu treffen sind, ist die mit dem Zeithorizont zunehmende Unschärfe eine besondere Herausforderung.
Künftig kommt es auf die Entwicklung der industriellen Stromnachfrage, den Zubau an Wärmepumpen für Gebäudewärme, den Zuwachs an E-Mobilität, den Bedarf an Elektrolysestrom für Wasserstofferzeugung und die Bedarfssteigerung in Rechenzentren, u.a. für KI, an, um Energiepreise im Rahmen der Energiebeschaffung bewerten zu können.
Stromverbrauchsentwicklung Industrie
Bei der industriellen Stromnachfrage gibt es gegenläufige Tendenzen. Einerseits werden hier fossile Brennstoffe durch Strom (u.a. Wärmepumpen) und damit Stromeigenerzeugung durch Strombezug ersetzt, andererseits führen die hohen Energiekosten und andere Standortbedingungen, drohende Einfuhrzölle in den USA und verschärfter Wettbewerb aus China zu einem Rückgang des industriellen Strombedarfs. Industrielles Wachstum aufgrund der Transformation der Wirtschaft zur Klimaneutralität hingegen spielt kaum eine Rolle.
Es wäre falsch, sich bei der Einschätzung von der aktuell schlechten Stimmungslage leiten zu lassen. Die Unternehmen werden ihre Hausaufgaben machen, sich anpassen, neue Märkte erschließen, neue Produkte entwickeln, Kosten senken und Lösungen finden. Irgendwann wird auch die Politik ihren Beitrag leisten und die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft verbessern. Es wird jedoch nicht gelingen, den Energiekostennachteil gegenüber den USA und anderen Ländern wettzumachen. Teile der energieintensiven Industrie werden abwandern. Andere Defizite benötigen lange Zeiträume, um sie auszugleichen, hier seien die demographische Entwicklung, das Bildungssystem und die Infrastruktur genannt.
Vor diesem Hintergrund wird die Industrie nur geringe Spielräume für Investitionen in Dekarbonisierung haben. Ohnehin ist die Elektrifizierung des Energiebedarfs mit erheblichen Mehrkosten verbunden, die sich trotz des Emissionshandels nicht rechnen. Insofern bleibt hier eine Abhängigkeit von staatlichen Förderprogrammen wie den Carbon Contracts for Difference (CFD). Für diese wiederum bedarf es staatlicher Fördermittel, für deren Herkunft es derzeit viel Fantasie braucht.
Insgesamt dürfte sich der Stromverbrauch in der Industrie verhaltener entwickeln, als in vielen Studien und politischen Planungen unterstellt.
Prognose Stromverbrauch Wärmepumpen
Die Bundesregierung plant bis 2030 einen jährlichen Zubau von 500.000 Wärmepumpen. Der Zubau 2024 beträgt nach aktuellen Schätzungen nur 200.000 Einheiten. Es ist davon auszugehen, dass es in den nächsten Jahren mehr werden, weil die Politik die Stromkosten (für Wärmepumpen) weiter senken wird, die Akzeptanz steigt und fossile Heizungen ersetzt werden müssen. Auch wenn eine andere Regierung weniger rigoros bei der Wärmewende verfahren sollte, wird es bei der grundsätzlichen Richtung bleiben. Der Zubau wird aber erst zum Ende des Jahrzehnts Fahrt aufnehmen und nicht mehr als 2,5 Mio. Einheiten 2030 ergeben.
Wieviel eine Wärmepumpe durchschnittlich an Strom verbraucht, hängt von vielen Faktoren ab. Werden 5.000 kWh/a an Stromverbrauch unterstellt, so verursachen Wärmepumpen für Gebäudewärme bis 2030 einen zusätzlichen Stromverbrauch von 12,5 TWh. Das sind nur 2-3% vom heutigen Stromverbrauch. Es ist dann erst ein kleiner Teil der Haushalte auf Wärmepumpenheizung umgestellt. Allerdings fällt dieser Stromverbrauch besonders an den kalten Tagen an und erhöht sich in kalten Wintern deutlich, weil dann nicht nur der Wärmebedarf steigt, sondern auch die Effizienz der Wärmepumpe deutlich abnimmt.
Prognose Stromverbrauch E-Autos
Die Bundesregierung plant für 2030 15 Millionen vollelektrische Autos (das wären rund ein Drittel des Fahrzeugbestandes), derzeit gibt es rund 1,5 Millionen. Die Hindernisse sind hinlänglich bekannt und diskutiert worden: hohe Preise, kurze Reichweiten, fehlende Ladeinfrastruktur. Chinesische Importe würden gegen die hohen Preise helfen, aber zulasten von Wirtschaft und Arbeitsplätzen, weshalb die EU jetzt Zölle beschlossen hat. Manche Automarken werden inzwischen auf politische Vorbehalte stoßen. Der Anteil an elektrischen Fahrzeugen an den Neuzulassungen wird weiter steigen. Ein Bestand von zehn Millionen Elektroautos bis 2030 dürfte trotzdem ambitioniert sein.
Ähnlich wie bei Wärmepumpen gibt es eine große Bandbreite an jährlichem Stromverbrauch, je nach Kilometerleistung und tatsächlichem, spezifischem Stromverbrauch je Kilometer, wobei Ladeverluste zu berücksichtigen sind. Wird von einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 3.000 kWh ausgegangen, kommen 30 TWh zusätzlicher Stromverbrauch bis 2030 hinzu. Anders als Wärmepumpenstrom fällt der Stromverbrauch in der Mobilität gleichmäßig über das Jahr an. Zwar ist der Stromverbrauch im Winter in Batterieautos spezifisch höher, aber im Sommer wird mehr gefahren.
Für den sonstigen Stromverbrauch der Haushalte gilt seit Jahrzehnten das Gleiche: Energieeffizienzgewinne werden durch kleinere Haushaltsgrößen (mehr Einpersonenhaushalte) und zusätzliche Anwendungen (insbesondere elektronische Medien) kompensiert. Da, anders als noch vor ein paar Jahren, nicht mehr mit einem Rückgang der Bevölkerung zu rechnen ist, bleibt der sonstige Stromverbrauch ungefähr konstant.
Stromverbrauchsentwicklung Energiespeicher, Elektrolyse und KI
Der Bruttostromverbrauch umfasst regelmäßig auch den gesamten Stromverbrauch für Pumpspeicherkraftwerke und Batteriespeicher und nicht etwa nur die Energieverluste bei den Speichervorgängen. Letztere betragen bei Pumpspeichern rund 25% und bei Batteriespeichern 10-15%. Da insbesondere durch die hohe Solarstromerzeugung hoher Speicherbedarf besteht, wird durch die Bruttobetrachtung der Stromverbrauch “aufgebläht”. Der Pumpstrombedarf der Speicherkraftwerke beträgt 7-8 TWh. Aufgrund des begrenzten Zubaupotenzials ist hier nur ein geringer Anstieg zu erwarten.
Bei Batteriespeichern hingegen gibt es einen massiven Zubau. Die Bundesregierung hat die “Stromspeicher-Strategie” bislang nicht verabschiedet. Die Batteriekapazität dürfte bei den aktuellen Zubauraten von knapp 17 GWh auf 50 GWh 2030 steigen, wobei das Gros auf Heimspeicher entfällt. Die Vollladezyklen dürften bei rund 150 pro Jahr liegen, so dass der zusätzliche Strombedarf bis 2030 rund 5 TWh beträgt.
Die Bundesregierung plant bis 2030 die Installation von 10 GW Elektrolysekapazität. Bei einer Kapazitätsauslastung von 6.000 h/a wären das 60 TWh Stromverbrauch. Wenn aber, wie bislang, ausschließlich und zeitgleich regenerativer Strom zulässig ist, dürfte die Kapazitätsauslastung eher bei 4.000 h/a liegen. Zumindest ist bei der Elektrolyse davon auszugehen, dass sie nicht bei Dunkelflaute stattfindet, sondern verstärkt bei hohem regenerativem Stromangebot. Die Flexibilität der Elektrolyseanlagen hat allerdings Grenzen.
Der Zubau an Elektrolyseanlagen erfolgt alles andere als linear. Der große Zubau wird erst zum Ende des Jahrzehnts erfolgen. Auch dann ist allerdings zweifelhaft, ob obige Anlagenleistung erreicht wird. Bislang gibt es nicht einmal in ausreichendem Maße Projekte, geschweige denn, dass auch alle Projekte fristgerecht oder überhaupt realisiert werden. Bislang ist der Wasserstoffhochlauf ein Misserfolg, der maßgeblich auf die restriktive Definition des grünen Wasserstoffs zurückzuführen ist. Selbst wenn es mit einer anderen Regierung hier Abhilfe gäbe, dürfte der Stromverbrauch für Wasserstofferzeugung 2030 nicht über 40 TWh liegen.
Seit einiger Zeit wird in den Medien Panik vor dem gigantischen Stromverbrauch von KI verbreitet. Richtig ist, dass IT und die Nutzung elektronischer Medien einen stark wachsenden Strombedarf haben. Das betrifft nicht nur Rechenzentren, sondern auch Haushalte und Unternehmen. Die absoluten, weltweiten Zahlen des prognostizierten KI-Stromverbrauchs sind durchaus beeindruckend. Werden sie jedoch in Relation zum gesamten Stromverbrauch gesetzt, sieht es anders aus: Die Internationale Energieagentur hält einem zusätzlichen Stromverbrauch von Rechenzentren (ua. wegen KI) in der Größenordnung von 170 TWh 2030 für möglich. Der Gesamtstrombedarf der Welt soll bis dahin um 6.760 TWh zunehmen. Angesichts der hiesigen Strompreise werden nicht viele zusätzliche Rechenzentren in Deutschland stehen.
Zusammenfassung
Die Bundesregierung geht im EEG von einem Bruttostromverbrauch von 750 TWh aus. Die Vorgängerregierung hat im EEG 2021 einen Bruttostromverbrauch von ca. 615 TWh unterstellt. Die Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hat für 2023 einen Bruttostromverbrauch von 521 TWh ermittelt, 2019 lag er noch bei 576 TWh, 1990 bei 550 TWh. 2024 dürfte er in ähnlicher Größenordnung wie 2023 liegen. Im Bruttostromverbrauch sind Kraftwerkseigenverbrauch, Netzverluste, Strommengen zur Eigenversorgung und Strom für Pumpspeicher und Batteriespeicher enthalten.
Auf Basis der bisherigen Betrachtungen sind 600 TWh Bruttostromverbrauch ein wahrscheinlicher Wert. Die Zahl deckt sich recht gut mit den kürzlich vom EWI in der Mittelfristprognose für die EEG-Kosten verwendeten Verbrauchsprognosen (nach Umrechnung). Die Unsicherheit liegt bei rund 30 TWh, hauptsächlich durch die Industrienachfrage verursacht. Die Zunahme des Verbrauchs wird nicht linear erfolgen. Bis 2027 ist der Zuwachs unter 10 TWh pro Jahr.
Damit ist die Frage, wann der Stromverbrauch wie hoch ist, noch nicht beantwortet. Hierzu müssen Annahmen über die Entwicklung von verbraucherseitiger Flexibilität getroffen werden. Schlussfolgerungen für die Energiebeschaffung sind zudem nur im Kontext mit den anderen Einflussfaktoren auf den Strompreis möglich.