Die Regierungskoalition hat sich in den letzten Tagen auf eine Reihe von energiepolitischen Maßnahmen verständigt. Wir geben hier einen Überblick, was kommen soll.
Kraftwerksstrategie
Bereits im Februar hatte sich die Regierung auf die Eckpunkte einer Kraftwerksstrategie verständigt. Es sollten kurzfristig viermal je 2,5 GW Gaskraftwerke ausgeschrieben werden, die bis 2040 auf Wasserstoff umgestellt werden sollten. Ab 2028 sollte es einen marktbasierten Kapazitätsmarkt geben. Im Sommer sollten hierzu erste Entwürfe vorliegen.
Die neuen Beschlüsse sehen eine zeitnahe (vermutlich Anfang 2025) Ausschreibung von 5 GW Kraftwerkskapazitäten (“erste Säule”) und weitere 5 GW später („in einer zweiten Säule“) vor. Die zweiten 5 GW sollen ab 2028 in den allgemeinen Kapazitätsmechanismus überführt werden. Beide Ausschreibungen werden in den nächsten sechs Wochen konsultiert und dann in ein Kraftwerkssicherheitsgesetz überführt.
Die Kraftwerke sollen in Süddeutschland (“netzdienlich”) stehen und müssen nach spätestens acht Jahren vollständig auf grünen oder blauen Wasserstoff umgestellt werden. Wo der Wasserstoff herkommen soll, bleibt unklar. Bekanntlich fehlt dieser an allen Ecken und Enden und eine Importstrategie für Wasserstoff gibt es immer noch nicht.
Blauer Wasserstoff wird durch Elektrolyse mit Strom aus fossilen Energieträgern erzeugt, wobei das bei der Stromerzeugung entstehende CO2 abgetrennt und gespeichert wird (CCS). Da CCS in Deutschland nur bei Gasverstromung erlaubt ist, scheidet Kohle als Energieträger aus. Der Betrieb eines Kraftwerks mit blauem Wasserstoff bedeutet also die Stromerzeugung in einem bestehendem Gaskraftwerk, die Elektrolyse von Wasser, wobei ungefähr ein Drittel der erzeugten elektrischen Energie verloren geht, die Speicherung dieses Wasserstoffs und den Bau eines neuen Gaskraftwerks zur Rückverstromung des Wasserstoffs. Stattdessen könnte man auch einfach den Strom aus dem bestehenden Kraftwerk ins Netz einspeisen. Man bräuchte keine Elektrolyseanlagen, keine neuen Kraftwerke, keinen Wasserstoffspeicher, würde ein Drittel an Erdgas sparen und entsprechend weniger an CO2 speichern müssen. Was also soll die Nutzung von blauem Wasserstoff in der Stromerzeugung? Geld verbrennen?
Der Kapazitätsmechanismus wird auf der Plattform Klimaneutrales Stromsystem konsultiert, dazu sollen Optionen vorgestellt werden. Die Forderung, dass er amrktbasiert sein soll, ist verschwunden. Zusätzlich sollen kurzfristig 2 GW bestehende Gaskraftwerke auf Wasserstoff umgerüstet werden. Das schafft keine neuen Kapazitäten. Außerdem werden 500 MW Kraftwerkskapazität, die sofort mit Wasserstoff laufen, ausgeschrieben sowie 500 MW Langzeitspeicher, also ein Wasserstoffspeicher.
Gefördert werden in der ersten Säule die Investitionskosten sowie für 800 Vollbenutzungsstunden die Differenz zwischen den Kosten für Wasserstoff und Erdgas. Das ist offenkundig mit der EU-Kommission, die das gesamte Paket absegnen muss, bereits abgestimmt. Vor 2029 wird wohl kein Kraftwerk laufen.
Es stellen sich sofort Dutzende von Fragen, aber mehr Informationen gibt es aktuell nicht.
Die wichtigste Frage, nämlich wie viele Strompreiszonen es in Deutschland künftig geben soll, ist vollständig ausgeklammert. Erst heute haben sich zehn führende Energieökonomen klar für die Einführung von lokalen Preissignalen ausgesprochen. Alles andere ist ökonomischer Unsinn. In Bayern ist der Strom aus Nord- und Nordostdeutschland einschließlich Netzentgelten derzeit billiger als am Ort der Erzeugung. Der Wärmepumpenminister scheut die Konfrontation mit Populismus-Söder. Möglicherweise wird aber die EU diesem Unsinn ein Ende bereiten. Schweden, Norwegen, Dänemark und Italien haben seit vielen Jahren mehrere Preiszonen.
Die „erste Säule“ wird aus Steuermitteln finanziert, genaugenommen aus dem Klima- und Transformationsfonds, aus dem dafür die steigende Finanzierung der EEG-Umlage herausgenommen wird, also die in der Politik üblichen Hütchenspiele. Für die zweite Säule zahlen dann wieder die Stromverbraucher direkt, Details unklar.
Abgaben auf Energie
Die Maßnahmen aus dem Strompreispaket vom Herbst 2023 werden fortgeführt. Für die produzierenden Unternehmen beträgt die Stromsteuer jetzt bis 2030 fix 0,05 ct/kWh. Alle anderen Verbraucher zahlen 2,05 ct/kWh.
Für einen elitären Kreis an Unternehmen gibt es bis 2030 die Strompreiskompensation. Der Kreis soll erweitert werden, aber das sollte er im Herbst auch schon. Die EEG-Umlage bleibt den Stromverbrauchern weiterhin erspart, immerhin steigt diese wieder kräftig an.
Netzentgelte
Der Vorstoß des Wärmepumpenministers, die Kosten für den Stromnetzausbau auf die kommenden Generationen (die sich nicht wehren können) zu verschieben, wird weiterverfolgt. Hintergrund ist, dass die Netzentgelte für Privatkunden bis 2030 von jetzt 9 auf 20 ct/kWh steigen sollen. Die Investitionskosten werden, wie das in der Betriebswirtschaft üblich ist, ohnehin abgeschrieben, in großen Teilen über 30 Jahre. Es kann keine Rede davon sein, dass Stromverbraucher im bestehenden System kurzfristig für etwas zahlen müssen, was viel länger zur Verfügung steht.
Was die Regierung hier plant, ist quasi eine progressive Abschreibung. Es wird vornehm Amortisationskonto genannt. Das Prinzip ist beim Wasserstoffnetz und den zugehörigen Entgelten bereits angewendet worden. Der Netzbetreiber verzichtet zunächst auf Teile des Entgeltes und erhält in ferner Zukunft dafür umso mehr. Dass das die Kapitalkosten und damit die Gesamtkosten erhöht, dürfte klar sein. Wenn schon offiziell keine weiteren Schulden möglich sind, müssen eben Hütchenspiele helfen. Probleme und riesige Zahlungsverpflichtungen auf die jüngeren Generationen abzuwälzen ist ja ein allgemein übliches politisches Prinzip. Bleibt zu hoffen, dass dieses Vorhaben spätestens beim Bundesverfassungsgericht scheitert. Zur Senkung der Netzentgelte und Netzkosten gibt es viele andere Möglichkeiten, die aber nicht thematisiert werden (z.B. Freileitungen statt Erdkabel im Übertragungsnetz).
Inzwischen ist der gigantische Kapitalbedarf für den Umbau der Energienutzung, insbesondere den Ausbau der Stromnetze zum Thema geworden. Die Bundesregierung selbst hatte die 20 Mrd. Euro zum Kauf TenneT-Übertragungsnetzes (plus die künftigen Investitionen) vom holländischen Staat nicht mehr übrig. Private Anleger können kaum in den Ausbau des Stromnetzes investieren, weder in Form von Eigenkapital (hat es in den vergangenen 20 Jahren einen Börsengang eines deutschen Netzbetreibers gegeben?) und nur begrenzt in Form von Fremdkapital (Anleihen). Dabei suchen doch viele Anleger seit Jahren attraktive Anlagemöglichkeiten mit relativer Sicherheit, z.B. für die Altersvorsorge.
Desweiteren sollen vermiedene Netzentgelte für dezentrale Kraftwerke überprüft (also vermutlich abgeschafft) werden. Es soll tatsächlich zeitvariable Netzentgelte geben, für wen, wie und wann bleibt abzuwarten. Dringend geboten ist es schon lange. Es kann ja nicht sein, dass Netznutzer selbst dann hohe Netzentgelte zahlen müssen, wenn der Markt Überschüsse an regenerativem Strom hat und die Netzbetreiber über jede Kilowattstunde Stromverbrauch dankbar sind.
In dem Zusammenhang soll der noch nicht einmal in Kraft getretene Mechanismus „Nutzen statt Abregeln“ (NsA) verbessert werden. Nach jetziger Regelung ist das ein sicherer Rohrkrepierer.
Die noch aus dem letzten Jahrtausend stammende „intensive Netznutzung“ (§ 19 (2) Satz 2 StromNEV) bietet einer Reihe von großen Stromverbrauchern z.T. deutliche Kostenvorteile, wenn sie das Stromnetz kontinuierlich nutzen. Leitbild sind Grundlastkraftwerke, die es schon lange nicht mehr gibt. Dadurch wird jeder Anreiz des Marktes, den Stromverbrauch flexibel entsprechend den Preisen vom Strommarkt zu nutzen, konterkariert. Es wird allerhöchste Zeit, diesen Unsinn endlich zu beenden.
Förderung von erneuerbaren Energien
Die Schwelle für die verpflichtende Direktvermarktung wird für Neuanlagen ab 01.01.2025 auf 25 kW gesenkt. Damit einher geht die Verpflichtung zur Steuerbarkeit und steigender Bürokratieaufwand.
Für Neuanlagen reicht ab 2025 bereits eine Stunde mit negativen Spotpreisen, um die EEG-Förderung auszusetzen. Bislang gelten noch drei Stunden und erst ab 2027 eine Stunde. Am Sonntag (07.Juli) gabe 18 Stunden mit negativen Spotpreisen am Stück. Auch die Flexibilitätsanreize für Biomasseanlagen sollen mal wieder verbessert werden. Dabei hatte man vor zehn Jahren die Einführung der Direktvermarktung als großen Erfolg gefeiert. Tatsächlich werden die Anlagen eben bis heute nicht marktgetrieben gesteuert. Daran werden auch die jetzt zu erwartenden Verbesserungen nichts ändern.
Nach zwei Monaten hat es die Bundesnetzagentur geschafft, die Ausschreibungsergebnisse für die letzte Onshore-Windkraftausschreibung zu veröffentlichen. Dazu gibt es zwei Lesarten:
- Die Ausschreibung war erneut unterzeichnet, statt der ausgeschriebenen 2.795 MW wurden überhaupt nur 2.379 MW wirksam angeboten. Wettbewerb war dementsprechend nicht vorhanden, der mittlere Zuschlagspreis mit 7,33 ct/kWh fast identisch mit dem zulässigen Höchstwert von 7,35 ct/kWh für eine Anlage mit Referenzertrag. Die tatsächlichen Vergütungen liegen im Mittel viel höher. Kostensenkung: Fehlanzeige. Anfang August sollen 4.094 MW ausgeschrieben werden. Das wird wieder Nichts.
- Die Angebotsmenge ist erneut gestiegen und hat fast die Zielmenge von 2.500 MW aus dem EEG (ohne Nachholeffekte aus dem Vorjahr) erreicht. Das zuletzt angebotene Volumen wurde zuletzt 2017 erreicht. Mit diesem weiteren Anstieg können die EEG-Ziele erreicht werden.
Die zweite Lesart stammt von der Bundesnetzagentur.
Fazit
Es werden wieder einmal Flicken auf längst gescheiterte Systeme geklebt, die üblichen Versprechungen von Beschleunigung, Digitalisierung, Vereinfachung und Entbürokratisierung und Kostensenkung gemacht, aber wie schon dutzende Male zuvor, wird sich nichts entscheidend verbessern. Die Bereitschaft, mit längst überkommenden Strukturen zu brechen, das Scheitern einzugestehen und kosteneffiziente Mechanismen zu etablieren, Planwirtschaft durch Markt, Ideologie durch gesunden Menschenverstand und Klientelpolitik durch eine ganzheitliche Herangehensweise zu ersetzen ist nirgends vorhanden. Einfach Weiterwursteln!