Wie weit (und wie steinig) der Weg zur Klimaneutralität ist, hängt von Faktoren ab, die sich für jedes Land unterschiedlich darstellen. Zu diesen Faktoren gehören insbesondere:
- Der materielle Wohlstand eines Landes, ausgedrückt im BIP pro Kopf. Mehr Wohlstand bedeutet mehr Energie- und Ressourcenverbrauch, die durch klimaneutrale Alternativen substituiert werden müssen. Hierzu gehört auch der bisherige Umgang mit Energieeffizienz.
- Die bisherige Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen dem reinen Verbrauch und der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Exporten fossiler Energie.
- Die meteorologischen Verhältnisse, die den Raumwärme- und Klimatisierungsbedarf bestimmen.
- Die Räumliche Ausdehnung eines Landes, das den Bedarf an Transportleistung bestimmt.
- Der Anteil an energieintensiver Schwerindustrie und der Exportwirtschaft.
- Die Verfügbarkeit von regenerativer Energie.
Werden Länder nach diesen Kriterien untersucht, offenbaren sich interessante Erkenntnisse. In Deutschland ist der materielle Wohlstand hoch, aber der Umgang mit Energie ist seit den Ölkrisen von Sparsamkeit geprägt. Deutschland hat eigene Kohlevorkommen, wobei die Braunkohle im Tagebau gewonnen werden kann, was einer der billigsten Energieträger zur Stromerzeugung bedeutet. Öl- und Gas müssen fast vollständig importiert werden.
Die Winter sind gemäßigt, die Sommer teilweise nicht mehr, so dass sich der Heizbedarf als moderat und der Klimatisierungsbedarf als gering herausstellt. Deutschland ist dicht besiedelt und flächenmäßig ein mittleres Land, so dass der Bedarf an Verkehrsleistungen ebenfalls im mittleren Bereich liegt. Allerdings ist Deutschland mit der Lage im Herzen Europas ein Transitland, was für zusätzlichen Verkehr sorgt.
Deutschland ist (war?) Exportweltmeister, wobei neben Autos, Maschinen und Anlagen auch viele Grundstoffe wie Stahl, Nichteisenmetalle, Chemieerzeugnisse etc. zu den Exportgütern zählen. Es wird für die Welt mit-produziert, was zusätzliche Klimabelastungen hervorruft. Die Automobilindustrie, ein Pfeiler der deutschen Industrie, unterliegt durch den Klimaschutz einem grundlegenden, technologischen Wandel.
Die Verfügbarkeit regenerativer Energie ist bestenfalls mäßig. Breitengrad und Wetter bedeuten eine niedrige Globalstrahlung. Wenig Hochgebirge schränken die Verfügbarkeit von kostengünstiger Wasserkraft trotz der hohen Niederschläge stark ein. Windenergie ist nur im hohen Norden in ausreichendem Maß vorhanden. Die Küstenlinie ist kurz im Verhältnis zum Energiebedarf.
Insgesamt ist der Weg Deutschlands zur Klimaneutralität weiter als der vieler anderer europäischer Länder. Spanien hat einen sehr kurzen Weg, weil die Globalstrahlung sehr hoch ist, lange Küsten und Hochebenen mit sehr gutem Windangebot zur Verfügung stehen und sogar die Bedingungen zur Wasserkraftnutzung besser sind als in Deutschland. Eine PV-Anlage liefert in Spanien ungefähr den doppelten Stromertrag wie eine in Deutschland und weist eine breitere zeitliche Verteilung auf. Zudem korreliert sie mit dem Klimatisierungsbedarf, während der Heizwärmebedarf geringer ist als in Deutschland. Eigene fossile Energien sind nur in geringem Umfang vorhanden, und die Wirtschaft ist weniger von Schwerindustrie und Export geprägt.
UK ist vergleichbar mit Deutschland. Die Globalstrahlung ist noch geringer, dafür gibt es eine lange Küstenlinie. Anstelle von Braunkohle hat UK viel eigenes Erdgas, allerdings sind die Vorräte endlich. Der Industrieanteil an der Wirtschaft ist nicht mehr so hoch wie in Deutschland.
Frankreich nimmt mit dem extrem hohen Kernenergieanteil eine Sonderstellung ein. Die klimatischen Bedingungen sind etwas günstiger als in Deutschland. Eine lange Küstenlinie, deutlich mehr Wasserkraftpotenzial und im Süden eine solide Globalstrahlung bedeuten ein gutes Angebot an regenerativer Energie. Es gibt nur wenig eigene, fossile Energieträger.
Australien hat ein gigantisches Solarstrompotenzial und wird im Wasserstoffmarkt eine führende Rolle einnehmen. Da sind selbst sinkende Exporte von (Tagebau-)Steinkohle und LNG zu verschmerzen. Auch die aktuell hohen pro Kopf CO2-Emssisonen, die ähnlich wie in den USA auf weiten Entfernungen, teilweise hohem Klimatisierungsbedarf, hohem Lebensstandard und einem sehr großzügigen Umgang mit der billigen Energie zurückzuführen sind, werden nicht verhindern, dass Australien insgesamt wirtschaftlich zu den Gewinnern des Klimaschutzes zählen wird. Ob das auch klimatisch gilt, ist eine andere Frage.
Die USA profitieren enorm von ihren kostengünstigen und umfangreichen, fossilen Energieressourcen und sind bekanntermaßen große Energieverschwender. Dem könnte sich das an sich ordentliche Angebot an Solar- und Windenergie als nicht gewachsen erweisen, zumal das Angebot räumlich z.T. weit vom Stromverbrauch entfernt ist.
Russland ist ein klarer Verlierer des Klimaschutzes. Starke Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und deren Exporten, viel Schwerindustrie, hoher Energiebedarf durch Klima und Entfernungen sowie kaum kostengünstiges, regeneratives Energieangebot sind schlechte Voraussetzungen.
Der Weg für Deutschland zur Klimaneutralität ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr weit und steinig. Energieintensive Industrie wird dahin gehen, wo regenerative Energie kostengünstig verfügbar ist. Auf dem Weg in die Klimaneutralität werden sich die wirtschaftlichen Positionen der Länder erheblich verschieben.