Für die Einschätzung künftiger Strompreise ist eine Langfristprognose des Stromangebotes unentbehrlich. Feste Strompreise sind an die Preise am Terminmarkt gekoppelt, Preise für PPA größtenteils ebenfalls. Die Terminpreise wiederum spiegeln die Erwartung des Marktes an die künftigen Spotpreise wider. Die Spotpreise für Strom hängen vom Stromverbrauch, dem Stromangebot, sowie den Preisen für Steinkohle, Erdgas und den Emissionsrechten (EU-ETS) ab. Langfristprognose Stromangebot bedeutet hier bis 2030.
Die Frage nach dem Stromangebot ist untrennbar mit der Frage, wann und mit welcher Wahrscheinlichkeit das Angebot zur Verfügung steht, verbunden. In der Vergangenheit wurden die installierten Leistungen der Energieträger aufaddiert. Die Leistungen von PV-Anlagen und fossilen Kraftwerken zu addieren, liefert jedoch keine Erkenntnisse. Nichtsdestotrotz ist die Prognose der installierten Kraftwerkskapazitäten je Energieträger die Basis für weitere Betrachtungen. Zusätzlich zu den Kraftwerksleistungen sind die im Jahr erzeugbaren Strommengen relevant.
Langfristprognose Stromangebot fossile Kraftwerke
Das Ampel-Aus bedeutet, dass sich die Backup-Gaskraftwerkskapazitäten weiter verzögern werden, denn eine Einigung auf ein entsprechendes Gesetz vor der Wahl ist nicht zu erwarten, auch wenn der Präsident der Bundesnetzagentur am Wochenende einen diesbezüglichen Appell an die Politik gerichtet hat.
Das aktuelle Kohleausstiegsgesetz sieht für 2030 nur noch 6 GW Braunkohlekraftwerke (weitere rund 3 GW laufen noch bis 31.03.2030) und 8 GW Steinkohlekraftwerke vor. Die Kohlekraftwerke könnten bis zu 100 TWh Strom erzeugen, sofern der Strombedarf nach Abzug der regenerativen Stromerzeugung dies zulässt. Hinzu kommen laut Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur 32 GW erdgasgefeuerte Kraftwerke, 3 GW mit Mineralöl als Energieträger und 6 GW mit sonstigen Energieträgern. Darin sind viele Industriekraftwerke, BHKW, KWK-Anlagen und Spitzenlastgasturbinen mit sehr geringen Wirkungsgraden enthalten.
Auf Basis langjähriger Erfahrungswerte ist davon auszugehen, dass rund 15% der fossilen Kraftwerksleistung aufgrund von Ausfällen, Wartung etc. nicht zur Verfügung stehen. Es verbleiben somit knapp 47 GW an sicher zur Verfügung stehender, fossiler Kraftwerksleistung.
An Tagen der Dunkelflaute Anfang November betrug die Residuallast, damit ist hier der Stromverbrauch aus dem öffentlichen Netz abzüglich Solar- und Windstrom gemeint, rund 65 GW, wovon maximal 10 GW aus Biomasse und Wasserkraft gedeckt wurden. Weitere 10 GW können aus Pumpspeicherkraftwerken zur Verfügung gestellt werden. Hinzuzurechnen sind aber die Leistungsbedarfe für den industriellen Eigenbedarf, der bei der Residuallast nicht enthalten ist, Industriekraftwerke in der Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur aber sehr wohl. Insgesamt wurden ca. 50 GW an fossiler Leistung – oder aus Importen benötigt, das ist noch keineswegs der mögliche Höchstwert. Der Bedarf steigt insbesondere durch Wärmepumpen in den nächsten Jahren an.
Die Leistung von Batteriespeichern wird bis 2030 zwar auf mehr als 30 GW anwachsen, aber der weitaus größte Teil entfällt auf Heimspeicher, die nur PV-Überschüsse speichern und somit im Winter keine zusätzliche Leistung bereitstellen. Die durchschnittliche Kapazität reicht zudem nicht einmal für zwei Stunden.
ENTSO-E geht in dem Winter Outlook 2024/25 davon aus, dass Deutschland bei Dunkelflaute Strom importieren muss. Die Spotpreisspitzen von Anfang November, als Deutschland die höchsten Preise in Mitteleuropa hatte, sind ein Vorbote. Bevor es aber zum gefürchteten Blackout kommt, haben die Übertragungsnetzbetreiber noch ein paar GW Kraftwerkskapazität in der Hinterhand. An den Preisspitzen ändert das jedoch Nichts.
Stromangebot von Wasserkraft und Biomasse
Bei der Wasserkraft gibt es praktisch keine Zubaupotenziale, im Gegenteil, viele Anlagen sind so klein, dass sich der betriebliche Aufwand kaum lohnt. Bestenfalls ist von einem Erhalt der 1,5 GW auszugehen. Bei dem Großteil der installierten Leistung handelt es sich um Laufwasserkraftwerke, deren Stromerzeugung nicht steuerbar ist (auch wenn häufig das Gegenteil behauptet wird). Welche Leistung als Speicherwasserkraftwerk einzustufen ist, ist nicht bekannt, weil diesbezüglich im Stammdatenregister nicht differenziert wird.
Wasserkraftwerke erzeugen nicht kontinuierlich Strom, sondern abhängig von Niederschlägen. Das jährliche Stromerzeugungspotenzial liegt deswegen nur bei ca. 5 TWh. Der Erzeugungsschwerpunkt liegt im Sommer, unter anderem, weil Niederschläge im Winter als Schnee erst zeitverzögert zur Stromerzeugung führen.
Die Bundesregierung plant für 2030 mit 8,4 GW Biomasseanlagen, das entspricht im Saldo gegenüber heute einem leichten Rückgang. Hintergrund ist, dass Biogas für andere Zwecke als Stromerzeugung verwendet werden soll. Biomasseanlagen laufen bis auf Ausnahmen nicht kontinuierlich und nicht marktpreisgesteuert trotz bestehender, finanzieller Anreize. Die Stromausbeute liegt bei rund 35 TWh.
Prognose Stromangebot Windenergie
Das EEG sieht bis 2030 eine installierte Leistung von Windkraftanlagen an Land von 115 GW vor. Ohne Abregelungen ergäbe sich daraus eine Jahresstrommenge von gut 200 TWh, wobei die wetterbedingten Schwankungen im Jahresvergleich bei 10% liegen können.
Auf Basis der bislang erreichten Leistung von knapp 63 GW, der bislang erteilten Zuschläge bei den Ausschreibungen der Bundesnetzagentur, der erwartbaren Rückbauten sowie den erteilten Genehmigungen (nicht aus allen werden auch Windkraftanlagen) werden es nur 90 bis 95 GW werden. So sieht es auch sinngemäß das EWI in der EEG-Mittelfristprognose. Werden dann noch Abregelungen (marktbasiert oder Redispatch) berücksichtigt, sind 160 TWh an verfügbarer Jahresstromerzeugung zu erwarten. Der Nettozubau nimmt ab 2026 mehr Fahrt auf.
Das Windenergie-auf-See-Gesetz sieht einen Ausbau der Windkraft auf 30 GW bis 2030 vor. Aktuell sind 9,1 GW installiert. Die EEG-Mittelfristprognose sieht bis 2029 knapp 16 GW installierte Leistung. Wird diese Entwicklung fortgeschrieben, sind es 2030 ca. 18 GW. Da die Projektlaufzeiten sehr lang sind, ist nicht zu erwarten, dass es noch viel mehr wird. Sofern der Weitertransport des Stroms an Land gewährleistet ist, liegt die Jahresstromerzeugung bei rund 50 TWh.
Langfristprognose Stromangebot Photovoltaik
Die Bundesregierung möchte die installierte Leistung der PV-Anlagen bis 2030 auf 215 GW erhöhen, mindestens die Hälfte der Anlagen sollen Dachanlagen sein. Derzeit sind gut 96 GW PV insgesamt installiert, damit liegt der Zubau bislang über dem Plan. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Zubau in ein paar Jahren zurückgehen wird. Bereits jetzt gibt es im Sommer häufig Stromüberschüsse mit negativen Strompreisen tagsüber. Bei weiterem, massivem Zubau wird es trotz Batteriespeichern einerseits zu massiven Abregelungen und andererseits zu massiven Erlösausfällen für große PV-Anlagenbetreiber kommen. Engpässe beim Netzanschluss bremsen ebenfalls. Zudem sind korrigierende, politische Maßnahmen zu erwarten.
Trotzdem sind 200 GW PV-Kapazität bis 2030 realistisch. Verbunden mit substanziellen Abregelungen ergibt das ein Stromangebot von bis zu 160 TWh.
Europäische Nachbarländer
Die Zeiten zu Beginn des PV-Booms, in denen Deutschland die Solarstromspitzen einfach in die Nachbarländer exportieren konnte, sind längst vorbei. Selbst in Dänemark wird massiv PV gebaut, in den Niederlanden sowieso, und alle anderen Länder bauen ebenfalls PV- und Windkraftanlagen sowie Wärmepumpen, während Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Neue Kernkraftwerke wird es vor 2030 nicht geben. Auch für Polen sieht ENTSO-E im Winter bei Dunkelflaute Stromimportbedarf.
Zusammenfassung
Die regenerative Stromerzeugung wird 2030 in einem Wetternormaljahr bei 410 TWh und damit deutlich hinter den im EEG verankerten 600 TWh liegen. Bezogen auf den für 2030 prognostizierten Stromverbrauch von 600 TWh sind das knapp 70%, angestrebt werden 80%. Im Vergleich zu den Planungen der Bundesregierung ist der Anteil PV-Strom am Strommix viel höher, was im Sommer zu hohen Überschüssen und im Winter zu erhöhtem Bedarf an fossilen Energieträgern führt.
Die Langfristprognose des Stromangebotes zeigt, dass deutlich mehr Windenergie erforderlich ist, und zwar da, wo es bislang kaum Anlagen gibt, nämlich in Bayern. Da ist die Stromausbeute zwar schlechter und die Stromgestehungskosten damit höher als im Norden, aber dafür werden die Kosten für den Transport des Stroms eingespart.
Je nach genauem zeitlichem Verlauf von Zubau und Abschaltung kann es Ende der zwanziger Jahre zu geringerem Stromangebot als 2030 kommen.