Die Systeme des europäischen Emissionshandels benötigen dringend Reformen. Seit Jahrzehnten sehen viele Ökonomen den Königsweg zur Dekarbonisierung in der Belastung von Treibhausgasemissionen mit Kosten. Dies kann durch eine direkte Bepreisung mit Steuern oder Abgaben geschehen oder in Form eines Handelssystems, für das es ganz unterschiedliche Ausprägungen gibt.
In der EU gibt es seit 2005 ein Emissionshandelssystem (EU-ETS 1) für die Industrie und den Energiesektor (nur Anlagen mit einer Feuerungsleistung >20 MW), später kam noch der Luftverkehr dazu. Es handelt sich um ein CAP-System, in dem die EU erlaubte Obergrenzen für die Emissionen pro Jahr vorgibt. Anlagenbetreiber sind verpflichtet, Zertifikate (1 EUA=European Allowance entspricht 1 Tonne CO2-Äquivalent) für ihre THG-Emissionen abzugeben. Die EUA werden teilweise kostenlos ausgegeben und teilweise versteigert. Daneben gibt es einen Sekundärhandel.
Ab 2027 gibt es ein zweites Handelssystem (EU-ETS 2) für Verkehr und Wärmemarkt. Hier sind die Inverkehrbringer verpflichtet, Zertifikate abzugeben. Auch dieser Emissionshandel ist ein CAP-System, aber überhaupt nicht mit dem EU-ETS 1 kompatibel. Es verbleiben noch Treibhausgasemissionen, die nicht von den Handelssystemen erfasst sind. Beide Systeme sind sehr komplex und bestehen aus zahlreichen Detailregelungen. Zudem ist das EU-ETS 1 vielfach geändert und reformiert worden, weil es über viele Jahre nichts außer Missbrauch und Windfallprofits bewirkt hat.
Die wahrscheinlich nächste Bundesregierung möchte den Emissionshandel als Leitinstrument für den Klimaschutz ausbauen. Bislang gibt es Emissionshandel und Fördermaßnahmen nebeneinander.
Defizite der Systeme
Der Grundgedanke ist richtig: Nur die direkte Verteuerung von Treibhausgasemissionen sorgt für einen technologieoffenen und kosteneffizienten Weg in die Klimaneutralität. Eine CAP-Regelung verspricht, dass langfristig Obergrenzen der Emissionen eingehalten werden. Die bestehenden Systeme sind jedoch aus folgenden Gründen ungeeignet:
- Klimaschutz wird nur funktionieren, wenn zumindest alle emissionsstarken Länder in gleichem Maße wie die EU mitmachen. Das ist derzeit überhaupt nicht der Fall.
- Es ist reines Wunschdenken, dass sich große Teile der Welt dem Emissionshandel anschließen werden. Das ist in 30 Jahren nicht passiert. Die bestehenden Systeme sind untereinander nicht verbunden. 50% der weltweiten CO2-Bepreisung gehen auf das Konto der EU, aber nur 12% der Emissionen.
- Die Folge ist, dass Industrieproduktion ins (nicht-EU) Ausland abwandert (Carbon Leakage). Das sollte zwar bislang durch kostenlose Zertifikatszuteilung und Strompreiskompensation, künftig durch CBAM (Carbon Border Adjustement Mechanism) erreicht werden, hat aber nicht funktioniert, weil nur wenige Branchen und Produkte davon erfasst sind.
- Dass es zwei voneinander unabhängige System gibt, obwohl die Emissionen beider Systeme miteinander verbunden sind, ist ein Widerspruch zum einheitlichen CO2-Preis, der allein die Technologieneutralität sicherstellt.
- Die Emissionshandelssysteme versuchen EU-weite und nationale Zielsysteme zu vereinen. Das kann nicht funktionieren. Die CO2-Minderungskosten sind nun einmal unterschiedlich hoch in den Mitgliedsländern. Ein CO2-Preisniveau kann für die EU-Ziele durchaus ausreichend sein, aber für nationale Ziele eben nicht. Wie soll das gehen?
- Sektorziele sind per se Unfug. Das Klima kennt keine Sektoren, auch keine Staaten und auch keine spezifischen Emissionen. Es kommt nur auf die Gesamtsumme an. Emissionen im Verkehr und Wärmemarkt können in großem Umfang nur mit grünem Strom reduziert werden. Also muss zunächst der Stromsektor dekarbonisiert werden. Einfach gesetzlich festzulegen, Wärmepumpen und E-Autos würden keine CO2-Emissionen verursachen, ist Unsinn. Hinzu kommt, dass die Abgrenzungen der Sektoren auf EU- und nationaler Ebene unterschiedlich sind. Strom- und Wärmeerzeugung in der Industrie fallen, zum Beispiel, in der EU unter Energie, im Klimaschutzgesetz aber unter Industrie.
- Dekarbonisierung erfolgt maßgeblich mithilfe langfristiger (Größenordnung 20 Jahre) Investitionen. Da der CO2-Preis unberechenbar ist, schafft er keine Investitionsanreize. Mit welchem Preis sollen Investoren denn rechnen? Was passiert nach 2030?
- Der CO2-Preis ist seit Einführung des EU-ETS 1 zu niedrig, um im Energiesektor in Deutschland eine Emissionsminderung zu bewirken. Er reicht nicht einmal aus, um den Fuel switch von Kohle zu Erdgas anzureizen, geschweige denn, regenerative Stromerzeugung marktfähig zu machen. Dazu müsste der Strompreis dauerhaft weit über 100 €/MWh liegen, wozu ein CO2-Preis von ebenfalls weit über 100 €/t CO2 erforderlich wäre. Dass der CAP trotzdem eingehalten wird, liegt am EEG, an der Deindustrialisierung und daran, dass es noch aus früheren Jahren genug EUA gibt.
- Der Emissionshandel ist intransparent und damit anfällig für Spekulationen. Hohe Preisvolatilität ist die Folge.
- Fortlaufende, politische Eingriffe in den Handel schaffen kein Vertrauen und kein Investitionsklima.
Reformversuch des Emissionshandels
Die Möglichkeiten, den Emissionshandel grundlegend zu reformieren sind politisch und rechtlich begrenzt. Im EU-ETS 1 läuft die aktuelle Handelsperiode bis 2030. Da Marktteilnehmer und Akteure Vertrauensschutz genießen, können die Regeln bis dahin kaum geändert werden.
Für den Zeitraum danach müssten die jährlichen Obergrenzen so weit abgesenkt werden, dass die Preise für die Zertifikate weit über 100 €/EUA steigen. Die Obergrenzen müssen verbindlich bis 2050 festgelegt werden. Beide Systeme müssten integriert werden. Dazu müssten die Verpflichtungen in beiden Systemen auf dem Inverkehrbringer liegen. Damit entfällt auch die Möglichkeit der kostenlosen Zuteilung.
Es muss ein wirksamer Mechanismus geschaffen werden, der die Wettbewerbsnachteile europäischer Unternehmen auf dem Weltmarkt umfassend und vollständig kompensiert. Andere Subventionsmechanismen für den Klimaschutz müssen abgeschafft werden. Die nationalen und EU-Klimaschutzziele müssen harmonisiert werden. Die Sektorziele sind abzuschaffen.
Es muss Transparenz im Emissionsmarkt geschaffen werden. Die tatsächlichen Emissionen müssen kurzfristig und leicht öffentlich zugänglich sein, um Preise bewerten zu können. Der Einfluss von Spekulanten muss begrenzt werden.
Die Möglichkeit, Emissionsberechtigungen weit in die Zukunft zu übertragen, muss abgeschafft werden. Derzeit führt diese Möglichkeit dazu, dass die Kosten für die Emissionsminderungen der Zukunft abgezinst die Preise für heute bestimmen. Das widerspricht dem Ziel, heute nur solche Preise zuzulassen, die für kostengünstige Emissionsminderungen erforderlich sind.
Es ist sicherzustellen, dass genug Erdgas für den Fuel switch zur Verfügung steht. Aktuell scheint das nicht der Fall zu sein. Bis 2031 dürfte diese Vorgabe jedoch erfüllt sein.
CO2-Steuer statt Emissionshandel
Der Emissionshandel ist ein Musterbeispiel dafür, wie aus einer guten Idee kompletter Murks gemacht wurde. Es wäre viel einfacher, eine einheitliche (am besten weltweit), zeitlich gestaffelte CO2-Steuer zu erheben. Dann wüssten Investoren, Verbraucher und der Staatshaushalt, woran sie sind, und könnten entsprechend handeln. Bürokratie und Spekulation wären weg. Sofern der Preis hoch genug angesetzt wird, könnten alle anderen Subventionen weg (EEG, Wärmepumpen etc.).
Der zeitlich gestaffelte Preis sorgt dafür, dass zunächst die kostengünstigen Maßnahmen und erst spät die kostenträchtigen ergriffen werden. Die aktuelle Politik schert sich nicht um Minderungskosten, sondern greift überall willkürlich ein. Da die langfristigen CO2-Preise bekannt sind, können sie frühzeitig in Entscheidungen einbezogen werden, zum Beispiel beim Autokauf oder der Heizungssanierung.
Ein ausreichend hoher Preis stellt sicher, dass die Emissionen in gewünschtem Maße sinken. Da die Einnahmen zu 100% dem Staat zufließen (während beim Emissionshandel große Teile bei Spekulanten verbleiben), kann der Staat die höheren Energiekosten sozial abfedern.
Auswirkungen auf den Strommarkt
Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Emissionshandel abgeschafft oder durch eine Emissionssteuer ersetzt wird. Eine größere Reform nach 2030 hingegen ist zwingend. Darüber wird aber schon Jahre vorher entschieden werden müssen. Das Ergebnis ist völlig offen. Damit der Emissionshandel endlich auch investive Maßnahmen hervorruft, müssen die Preise weit über 100 €/EUA steigen, 150 €/EUA sind ein Richtwert. Bei einem Gaspreis von 30 €/MWh wäre erneuerbare Stromerzeugung in Deutschland dann einigermaßen wettbewerbsfähig.
Im EU-ETS 2 werden die Preise vermutlich schon früher weit über 100 €/EUA steigen, weil anders kein Umstieg auf E-Autos und Wärmepumpen erfolgen wird (wenn andere Förderungen gestrichen werden).