In einem aktuellen Gesetzentwurf soll u.a. die Vermarktung von EEG-Strom durch die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) geändert werden, um das Phänomen der negativen Spotpreise zu bekämpfen und die Stromnetze bei zu hoher PV-Stromerzeugung zu stabilisieren. Der Gesetzentwurf wird trotz des Ampel-Aus wahrscheinlich beschlossen.
Bis 2010 haben die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) den gesamten EEG-Strom in Form von Monatsbändern an die Stromversorger geliefert. 2010 wurde stattdessen die EEG-Umlage eingeführt und die Vermarktung der EEG-Mengen erfolgte am Spotmarkt. 2012 wurde im EEG alternativ die Direktvermarktungsoption geschaffen, die ab 2014 für Neuanlagen ab 500 kW, ab 2016 ab 100 kW verpflichtend war. 2015 wurde mit der Erneuerbare-Energien-Verordnung (EEV) genau geregelt, wie die ÜNB den EEG-Strom, der nicht unter die Direktvermarktung fällt, zu vermarkten haben.
Der Anteil des Stroms, der durch die ÜNB vermarktet wird, ist seit Einführung der Direktvermarktung kontinuierlich zurückgegangen und lag 2023 nur noch bei ca. 15%. Bei PV-Anlagen wird allerdings noch mehr als die Hälfte der installierten Leistung durch die ÜNB vermarktet. Das liegt daran, dass es sehr viele Kleinanlagen gibt, für die sich der Verwaltungsaufwand einer Direktvermarktung nicht lohnt, und die teilweise nicht einmal über eine Viertelstundenmessung verfügen.
An sonnigen Tagen im Sommer 2024 lagen die Vermarktungsmengen der ÜNB aus Solarstrom über 20.000 MW in der Mittagszeit, so dass die ÜNB in diesen Zeiten die mit Abstand größten Anbieter sind.
Aktuelle Regelungen
Die Vermarktung des prognostizierten EEG-Stroms, soweit er nicht unter die Direktvermarktung oder sonstige Vermarktung fällt, hat durch die ÜNB vollständig am Day-ahead-Spotmarkt einer Strombörse in stündlicher Auflösung zu erfolgen. Vollständig bedeutet, dass die ÜNB jeweils Market-Order einstellen müssen. Bei einer Market-Order wird zu jedem Preis, auch negativen verkauft. Limit-Order, die die Verkaufsmenge vom Preis abhängig machen, sind im Normalfall nicht erlaubt.
Seit es den Spothandel im Strommarkt gibt, liegt die kleinste Zeiteinheit (MTU = Market Time Unit) im Day ahead-Markt bei einer Stunde, obwohl in Deutschland und anderen Ländern das Bilanzierungsintervall seit jeher eine Viertelstunde ist. Das hat schon zu Problemen geführt, als es noch gar nicht so viel Solarstrom gab, weil auch die Verbrauchskurve hohe Lastgradienten aufweist. Werden statt der richtigen Viertelstundenmengen jeweils die Durchschnittswerte von vier Viertelstunden einer Stunde gebildet, verbleibt eine erhebliche Ungenauigkeit in den einzelnen Viertelstundenwerten. Bilanzkreisverantwortliche hatten lange Zeit nur bilateral die Möglichkeit, diese Differenzen auszugleichen. 2024 lagen die Lastgradienten der PV-Stromerzeugung bei mehr als 2.000 MW/Viertelstunde. Das wird noch mehr.
Die EPEXSpot als mit Abstand größter NEMO (NEMO = Nominated Electrcity Market Operator, also einer Strombörse, die am europäischen Marktkopplungsprozess teilnimmt) hat die Einführung von Viertelstundenprodukten im Day-ahead-Markt abgelehnt und mit der Rücksicht auf europäische Länder, die kein Viertelstunden-Bilanzierungsintervall haben, begründet. Stattdessen hat die österreichische Strombörse EXXA 2014 als erste Börse einen solchen Handel auch für den deutschen Strommarkt etabliert.
Inzwischen hat die EU die NEMOs rechtlich dazu verpflichtet, einen Day ahead-Spotmarkt auf Stundenbasis einzurichten. Am 11. Juni 2025 soll es so weit sein. Der Day-ahead-Spotmarkt wird dann auf Viertelstunden umgestellt. Das wird Auswirkungen haben.
Außerdem sind die ÜNB verpflichtet, Abweichungen zwischen den Erzeugungsprognosen vom Vortag und aktuellen Prognosen in einer Intraday-Auktion auszugleichen. Hierbei sind Limit-order erlaubt. Diese Auktion findet um 15 Uhr für den Folgetag statt. Der Name Intraday-Eröffnungsauktion rührt daher, dass die Abwicklung im Fahrplanmanagement Prozess zwischen ÜNB und Bilanzkreisverantwortlichen erst nach dem Day-ahead-Prozess stattfindet.
Verbleibende und aktuelle Prognoseabweichungen (die Prognosen für EE-Stromerzeugung werden fortlaufend aktualisiert) müssen im kontinuierlichen Intradayhandel ausgeglichen werden.
Damit die ÜNB einen Anreiz haben, Prognosen und Vermarktung bestmöglich zu machen, erhalten sie nach genau definierten Kriterien quasi eine Prämie für gute Arbeit.
Für den (bislang sehr selten aufgetretenen) Fall, dass die Day-ahead-Auktion wiederholt wird, dürfen die ÜNB in der zweiten Auktion limitierte Order einstellen. Auch hierzu gibt es detaillierte Vorschriften. Das gesamte Vermarktungsgeschehen unterliegt hohen Transparenzanforderungen.
Geplante Änderung
Der aktuelle Gesetzentwurf sieht vor, dass der Day-ahead-Stundenmarkt durch den Day-ahead-Viertelstundenmarkt ersetzt wird. Das gilt auch für die Berechnung von Marktwertfaktoren, die Vergütung bei negativen Spotpreisen etc.
Die ÜNB haben in ihrer Prognose der Solarstromerzeugung zwischen steuerbaren und nicht steuerbaren Anlagen zu unterscheiden. Die Entscheidung, welche Anlagen als steuerbar gelten, hängt vom Einzelfall ab, das können auch Anlagen unter 100 kW sein. Die ÜNB sollen hierzu ggfs. Vereinbarungen mit Anlagenbetreibern abschließen. Die tatsächliche Steuerbarkeit muss durch Tests sichergestellt werden.
Der steuerbare Solarstrom soll dann mit preislimitierten Orders vermarktet werden, während es für den nicht steuerbaren Teil bei Market-Orders bleibt. Die ÜNB werden verpflichtet, den steuerbaren Strom in 20 Tranchen aufzuteilen und mit differenzierten Preislimits zu vermarkten.
Selbstredend sind nicht vermarktete Strommengen durch die ÜNB abzuregeln. Bei der Reihenfolge und dem Ausmaß der Abregelungen sollen die ÜNB die Netzdienlichkeit berücksichtigen. Außerdem sollen Eigenverbrauchsmengen idealerweise nicht abgeregelt werden. Teile der Anlagen sind allerdings nur in Stufen regelbar. Die Abregelungen sind keine Maßnahmen der Netzbetreiber im Sinne von Redispatch, es gibt somit keinen bilanziellen Ausgleich. Die ÜNB handeln hier nicht in ihrer Funktion als Netzbetreiber, sondern als Vermarkter.
Gleichwohl stehen den Anlagenbetreibern finanzielle Entschädigungen zu, soweit nicht negative Spotpreise einer EEG-Vergütung entgegenstehen. Diesbezüglich gibt es mehrere Gruppen von Anlagen.
Bewertung
Das ist auf jeden Fall sehr kompliziert, aber vom Grundsatz her unumgänglich, nachdem die Politik in den letzten Jahren den ungesteuerten Zuwachs an Solaranlagen befeuert hat, obwohl die Probleme seit Jahren bekannt sind. Jetzt müssen mal wieder die ÜNB die Kohlen aus dem Feuer holen.
Es ist davon auszugehen, dass die Änderungen im Grundsatz mit den ÜNB abgestimmt sind, weil der Politik hierzu das KnowHow fehlt. Es gibt sehr viele zu steuernde Anlagen. Anlagen über 100 kW sind gemäß den Anforderungen aus Redispatch zumindest theoretisch heute schon steuerbar und somit in die bestehenden Systeme integriert. Hinzu kommt eine sechsstellige Anzahl an Anlagen zwischen 30 und 100 kW. Von den noch kleineren Anlagen gibt es eine siebenstellige Zahl. Nicht alle können und dürfen auch geregelt werden. Einige Anlagen können über Rundsteuerempfänger gesteuert werden. Die vielen Kleinanlagen in die Steuerung einzubinden, ist eine Mammutaufgabe, die mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird.
Die Änderungen werfen zahlreiche Fragen auf, die hier gar nicht alle aufgezählt, geschweige denn beantwortet werden können. Was passiert z.B., wenn der Anlagenbetreiber mit dem Strom seine Batterie (stationär oder im Auto) laden wollte? Hunderte von Fachleuten werden sich in den nächsten Jahren damit beschäftigen. Abregelungen der PV-Anlagen werden keine Einzelfälle sein, sondern im Sommer eher die Regel.
Die durch die ÜNB tatsächlich steuerbare Leistung wird erst im Laufe der Zeit anwachsen, so dass auch die Effekte auf den Spotmarkt erst mit der Zeit sichtbar werden. Tatsächlich dürften die Änderungen geeignet sein, Umfang und Ausmaß der negativen Spotpreise durch Solarstromerzeugung deutlich zu reduzieren. Gänzlich verschwinden werden sie indes nicht, schließlich gibt es auch bei Windspitzen negative Spotpreise, obwohl fast 100% der Windkraft direkt vermarktet wird.
Wenn die negativen Spotpreise reduziert werden, erzielen die ÜNB höhere, spezifische Erlöse für den vermarkteten Strom. Das kommt dem EEG-Umlagekonto und damit dem Staatshaushalt zugute. Allerdings bedeutet das Verschieben des Preisniveaus von negativ auf Null oder knapp darüber, dass in höherem Ausmaß EEG-Vergütungen gezahlt werden müssen, weil der Entfall der Vergütung bei negativen Preisen weniger wird.
PV-Anlagenbetreiber würden auf jeden Fall von der neuen Regelung profitieren, egal in welcher Vermarktungsart sie sind. Der Marktwert der Solarstromeinspeisung 2024 wäre bei Ersatz aller negativen Preise durch 0 €/MWh von 46,11 €/MWh auf 62,27 €/MWh gestiegen. Der Profilfaktor läge indessen bei 0,794 anstatt 0,588. Auch bei der Verlängerung der Vergütungsdauer aufgrund negativer Spotpreise soll es Verbesserungen für die Anlagenbetreiber geben.
Es gibt auch einen Effekt für die Stromverbraucher: Die Strompreise werden geringfügig steigen, zumindest im Mittel. Werden zum Beispiel alle negativen Spotpreise 2024 auf null gesetzt, so liegt der mittlere Spotpreis bei 79,06 €/MWh und damit ca. 0,64 €/MWh höher als tatsächlich.
Einen Vorteil hätten die Änderungen auf jeden Fall: die Netze werden stabilisiert.