Die Strommarktreform ist ein politisches Dauerthema. Das Merit-Order-Prinzip ist zu Unrecht immer wieder kritisiert worden, ebenso der Energy-Only-Market (EOM), wonach nur die gelieferte Energiemenge, nicht aber die bereitgestellte Kapazität vergütet wird. Auch die Frage der Subventionen für erneuerbare Energien und der Aufteilung Deutschlands in mehrere Preiszonen gehören dazu.
Auf europäischer Ebene sind die Entscheidungen über den Elektrizitätsbinnenmarkt schon vor einigen Monaten gefallen. Danach bleibt es bei dem Merit-Order-Prinzip und dem EOM, Kapazitätsmechanismen (die es in einigen europäischen Ländern schon gibt) sind als Ausnahmen nur in engen Grenzen erlaubt. Eine Subventionierung von erneuerbarem Strom wie mit dem EEG ist nicht mehr zulässig, bis Ende 2026 gibt es noch eine Übergangsfrist, danach müssen andere Modelle das EEG ersetzen.
Die Bundesregierung hatte im Februar eine Kraftwerksstrategie angekündigt und im Juli die Eckpunkte benannt. Am 02. August hat das Wirtschaftsministerium ein äußerlich umfangreiches Papier mit dem Titel „Strommarktdesign der Zukunft“ veröffentlicht. Tatsächlich wird das Papier nur an einer einzigen Stelle konkret: es bleibt bei einer Preiszone in Deutschland. Dass in (wirtschaftlich schwächerem) Mecklenburg-Vorpommern erzeugter Strom einschließlich der zwingend in die Betrachtung einzubeziehenden Netzentgelte vor Ort deutlich teurer ist als im wirtschaftlich starken Bayern ist offenkundig wirtschaftlich wie politisch absurd.
Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Argumenten lohnt sich nicht, weil die politischen Machtverhältnisse und die politischen Mechanismen von vornherein keine andere Entscheidung erwarten ließen. Die Quittung kommt dann bei den Landtagswahlen im Herbst.
Im Weiteren stellt das Papier vier Optionen für die künftige EE-Förderung vor, wovon die vierte Option bevorzugt wird. Statt der bisherigen Vergütung für die eingespeiste Strommenge soll danach die Investition in Form einer leistungsspezifischen Zahlung, deren Höhe in wettbewerblichen Ausschreibungen ermittelt werden soll, erfolgen. Um sicherzustellen, dass die Anlage auch bestmöglich betrieben wird, muss der Betreiber einen kalkulatorischen (und nicht den tatsächlichen) Markterlös zurückzahlen.
Wie so oft hängt es von der konkreten Ausgestaltung ab, ob das Modell zu Kosteneffizienz führt und die richtigen Investitionsanreize setzt. In jedem Fall ist die Branche der erneuerbaren Energien in heller Aufregung, denn komfortabler dürfte es für sie in Zukunft nicht werden. Auf der Plattform klimaneutrales Stromsystem (PKNS) können Beteiligte noch bis zum 06. September Stellungnahmen abgeben.
Das BMWK stellt auch für den Kapazitätsmechanismus vier Optionen mit einem klaren Favoriten zur Diskussion. Hierbei handelt es sich um eine Kombination aus zentralem und dezentralem Kapazitätsmechanismus. Diese Begriffe sind irreführend. Zentraler Kapazitätsmechanismus bedeutet, dass eine zentrale Instanz (im Zweifel die Bundesnetzagentur) den Umfang benötigter Kapazitäten bestimmt und ausschreibt. Die Kosten kommen in die Netzentgelte oder in den Bundeshaushalt.
Dezentraler Kapazitätsmechanismus bedeutet, dass die Marktakteure (Bilanzkreisverantwortliche) selbst sehen müssen, dass sie für Engpasszeiten den Übertragungsnetzbetreibern eine entsprechende Menge an (eigenen oder gekauften) Kapazitätsrechten nachweisen. Hier ergeben sich Menge und Preise nach dem Marktprinzip, nicht nach planwirtschaftlichen Methoden. Das ist in der politischen Vereinbarung vom Februar so festgeschrieben.
Stromlieferanten werden die entstehenden Kosten an die Kunden weiterreichen. Damit wird das Thema Strombeschaffung bzw. Stromvertrieb um eine Dimension erweitert. Künftig wird stärker als bislang der Fokus auf die Frage gelegt, wann denn Leistung benötigt wird und wie flexibel der Kunde ist. Auch hier bleibt abzuwarten, wie das konkret ausgestaltet wird.
Da einer Aufteilung der einheitlichen Strompreiszone eine Absage erteilt wurde, die Notwendigkeit, lokal differenzierte (und zwar andersherum als bislang) Gesamtstrompreise aber nicht bestritten wird, wird zudem händeringend nach Mechanismen, die für eine Umsteuerung geeignet sind, gesucht. Die Lösung war erwartbar: der Netzausbau muss beschleunigt werden. Diese Forderung belegt im langjährigen Ranking der häufigsten politischen Forderungen den dritten Platz (hinter „wir brauchen Wachstum“ und „wir müssen Arbeitsplätze schaffen“). Bei der Diskrepanz zwischen Forderung und Realisierung sieht es ähnlich aus.
Tatsächlich hat man dann aber noch ein anderes, zeitlich und regional differenziertes Netzentgeltsystem als Abhilfe identifiziert. Dafür ist allerdings die Bundesnetzagentur zuständig. Hierzu werden wir in Kürze berichten.
Aufgeschreckt von den immer häufiger auftretenden negativen Spotpreisen wird zuletzt wieder einmal das Thema Flexibilität, also der Frage, wann Strom denn verbraucht wird, adressiert. Auch dabei läuft es auf obige Änderung in der Netzentgeltsystematik hinaus.
Bis Gesetzesentwürfe und erst recht Gesetze vorliegen, wird es noch dauern, aber spätestens im Sommer nächsten Jahres wird Klarheit herrschen. Dann zieht die Politik mal wieder in den Wahlkampf. Es empfiehlt sich trotzdem, bereits jetzt kommende Änderungen in Entscheidungen einzubeziehen.