Kurzfristig besteht – abgesehen von Deindustrialisierung und Stromverbrauchsreduzierung – der Hauptmechanismus zur Reduzierung der CO2-Emissionen darin, verstärkt Kraftwerke mit kohlenstoffärmeren Energieträgern einzusetzen. Da im Strommarkt nur die kurzfristigen Grenzkosten der Stromerzeugung für die Strompreise maßgeblich sind und die Brennstoffkosten von Braunkohle über Steinkohle zu Erdgas zunehmen, ist die Einsatzreihenfolge der fossilen Kraftwerke ohne CO2-Preis seit jeher Braunkohle vor Steinkohle vor Erdgas.
Das gilt nur, solange von Anlagen auf dem gleichen technischen Stand ausgegangen werden kann. Ein sehr altes Steinkohlekraftwerk mit einem Wirkungsgrad von 35% kann höhere Grenzkosten als ein modernes Braunkohlekraftwerk mit bis zu 42% Wirkungsgrad haben. Sobald die Abwärme des Kraftwerks in nennenswertem Umfang genutzt wird (Kraft-Wärme-Kopplung, KWK) können sich ebenfalls andere Verhätnisse ergeben.
Braunkohle verursacht bei vollständiger Verbrennung 0,404 t CO2/MWh, Steinkohle 0,337 t CO2/MWh und Erdgas 0,202 t CO2/MWh, bezogen auf den unteren Heizwert des Brennstoffs. Um die mit einer Megawattstunde Strom verbundenen Emissionen zu ermitteln, muss der Nettowirkungsgrad der Anlage berücksichtigt werden. Bestehende GUD-Kraftwerke (Gas- und Dampfturbinenkraftwerke) mit Gas befeuert haben Wirkungsgrade von 55-60%, neueste sogar darüber. Neueste Steinkohlekraftwerke (Datteln) erreichen bis 45%, neueste Braunkohlekraftwerke 43%, bestehende Anlagen liegen darunter. Gas ist nicht nur kohlenstoffärmer, sondern ermöglicht mit einer anderen Technologie auch deutlich höhere Wirkungsgrade, was unter Klimagesichtspunkten einen zusätzlichen Vorteil bedeutet.
Für GUD-Erdgas-Kraftwerke ergibt sich somit eine CO2-Belastung des erzeugten Stroms von ca. 0,36 t CO2/MWh, für Steinkohle ab 0,75 t CO2/MWh und für Braunkohle ab 0,96 t CO2/MWh. Ein CO2-Preis belastet die Kohlekraftwerke sehr viel mehr als das GUD-Kraftwerk und führt ab einer gewissen Preishöhe zu einer Kompensation des ursprünglichen Kostenvorteils von Kohlekraftwerken.
Gaspreise schwanken seit jeher sehr stark, seit der Gaskrise noch, künftig wohl wieder etwas weniger. Steinkohlepreise schwanken weit weniger, weil es einen gut funktionierenden und stabilen Welthandel gibt. Braunkohle wird praktisch nur am Ort der Gewinnung verwendet und nicht gehandelt. Deswegen gibt es in dem Sinne keine variablen Kosten bzw. diese sind sehr niedrig. Entsprechend den Brennstoffpreisschwankungen schwankt auch der CO2-Preis, der zur Bewirkung des Fuel switch notwendig ist. In der folgenden Darstellung ist der notwendige CO2-Preis in Abhängigkeit von der Differenz der Stromerzeugungsgrenzkosten dargestellt.
Oberhalb der jeweiligen Kurven ist der Einsatz des kohlenstoffärmeren Kraftwerks kostengünstiger, darunter bleibt es bei der ursprünglichen Reihenfolge. Die roten Punkte markieren die aktuellen Kostendifferenzen (Gaspreis 25 €/MWh, Steinkohlepreis 90 €/t SKE (Einheitenumrechnung) was den langjährigen Mittelwerten entspricht). In dieser Konstellation reicht ein CO2-Preis von ca. 60 €/t CO2 aus, um die auf diesem Weg maximal mögliche CO2-Reduzierung hervorzurufen. Das setzt voraus, dass es genug Kraftwerkspapzitäten gibt, um den Fuel switch vollständig zu ermöglichen. Hierbei sind auch Stromimporte und -exporte zu berücksichtigen. In Deutschland und Osteuropa dürfte das derzeit nicht der Fall sein. Außerdem muss genug Gas zu dem unterstellten Preis verfügbar sein.
Höhere CO2-Preise haben nur dann einen Effekt, wenn dadurch der Bau regenerativer Stromerzeugungsanlagen oder Gaskraftwerke wirtschaftlich wird. Das war bislang wenig zu beobachten.
In der Vergangenheit ist der CO2-Preis fast immer unter den für den Fuel switch erforderlichen Mindestpreisen gewesen. Ausnahmen gab es insbesondere im Frühling 2020, als infolge der Covid19-Beschränkungen und milden und windigen Wetters die Gaspreise unter 10 €/MWh lagen. Solange der Gaspreis über 40 €/MWh lag, haben die CO2-Preise trotz Anstiegs bis auf 100 €/EUA keinen Fuel switch bewirkt. Den höheren Gasverbrauch hätte auch niemand gewollt.
Seit sich die Gaspreise wieder normalisiert haben, bewegt sich der CO2-Preis ungefähr auf dem Niveau, dass zum vollständigen Fuel switch notwendig ist. Deswegen nimmt die Stromerzeugung aus Gas zu. Gleiches gilt für die Strominporte nach Deutschland, weil in den Nachbarländern eher Gaskraftwerke und in Deutschland Kohlekraftwerke stehen. Es ist aber nicht sicher, dass die Preisrelation so bleibt.
Da der Kohlepreis recht stabil ist, hängt der CO2-Preis maßgeblich von der Gaspreisentwicklung ab. Wie obiger Darstellung zu entnehmen ist, würde eine Änderung des Gaspreises (bei konstantem Kohlepreis) um 5 €/MWh einen rund 13 €/EUA höheren bzw. niedrigeren CO2-Preis erfordern, um den Fuel switch Gas-Steinkohle weiterhin knapp zu ermöglichen. Die Grenze zwischen Gas und Braunkohle verläuft flacher und ist deswegen ebenfalls ausreichend. Das folgende Bild zeigt, wie sich die Grenzkosten der Stromerzeugung durch den CO2-Preis erhöhen (Brennstoffkosten: langjährige Mittelwerte).
Bei einem CO2-Preis von 100 €/EUA steigt der Preis für die Verstromung von Steinkohle auf rund 100 €/MWh, rund 75 €/MWh mehr als ohne CO2-Preis. Diese Situation lag 2022 zeitweise vor. Wenn nun der Gaspreis um 10 €/MWh steigt und der Fuel switch erhalten bleiben soll, steigen die Stromerzeugungskosten aus Gaskraftwerken um rund 27 €/MWh. Davon entfallen ca. 18 €/MWh auf die Gaskosten und ca. 9 €/MWh auf den Effekt aus der CO2-Preiserhöhung von rund 26 €/EUA.
Bemerkenswert ist, dass nach dieser Logik steigende Kohlepreise (bei konstanten Gaspreisen) zu sinkenden CO2-Preisen führen. Mit Hinblick auf den Strompreis führen Kohlepreissteigerungen somit nicht zwangsläufig zu höheren Strompreisen.
Es stellt sich die Frage, wie es mit dem CO2-Handel und dem CO2-Preis nach 2030 weitergeht. Bislang gibt es dazu keine Beschlüsse seitens der EU. Die Möglichkeit des Fuel switch läuft irgendwann aus, weil bis auf Anlagen in Polen und Tschechien praktisch keine Kohlekraftwerke mehr Strom erzeugen. Was wird dann den CO2 bestimmen und wie weit kann der steigen?