Aus geologischen, topographischen, meteorologischen, historischen und politischen Gründen stellt sich die Kraftwerksstruktur in den europäischen Ländern heute sehr unterschiedlich dar. Folgendes Bild zeigt die installierte Kraftwerksleistung 2022 für wichtige Länder nach Energieträgern, basierend auf Daten von ENTSO-E, dem Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber .
Diese Zahlen sind nicht additiv zu verstehen. 1 GW Solarkraftwerke erzeugen in unseren Breiten 0,8-1 TWh Strom mit einem spezifischen Erzeugungsprofil, Onshore-Windkraftwerke in etwa das Doppelte, Offshore-Windkraftwerke mehr als 3 TWh, Wasserkraftwerke 4 bis 6 TWh, fossile und Kernkraftwerke können bis zu 8 TWh Strom erzeugen; bei fossilen Kraftwerken ist es aber i.d.R. sehr viel weniger. Biomasse und sonstige Energieträger sind nicht dargestellt.
Deutschland als bevölkerungs- und industriereichstes Land hat bei Kohle, Gas, Wind und Solar die größten Erzeugungskapazitäten. Bei Kohle, Solar und Offshore-Windkraft ist es fast die Hälfte der Leistung aller betrachteten Länder. Bei Kernenergie hat Frankreich fast 2/3 der gesamten Leistung, bei Wasserkraft ist Norwegen führend, allerdings haben auch Frankreich und – für viele sicher eine Überraschung – Spanien hohe Kraftwerksleistungen. Laufwasser- und Speicherwasserkraftwerke sind hier zusammengefasst, Pumpspeicherkraftwerke außen vor.
Nur wenige Länder sind bislang in die Offshore-Windstromerzeugung eingestiegen, weil sie über genug andere regenerative Stromquellen verfügen, zu klein sind oder keinen Küstenzugang haben. In Relation zur Landesfläche oder Bevölkerung sind die Niederlande bei der PV-Installation führend.
Kohlen und Tschechien verfügen über große Kohlekraftwerkskapazitäten, in denen heimische Kohle verfeuert wird. Den breitesten und modernsten Strommix hat Spanien. Hier erzeugt 1 GW PV-Kraftwerke auch fast doppelt so viel wie in Deutschland. Auch Frankreich benötigt neben Kernenergie und Wasserkraft Gaskraftwerke; es ist also keineswegs immer „Atomstrom“ für den Export übrig. Norwegen baut trotz der überragenden Dominanz der Wasserkraft durchaus auch Windkraftanlagen.
Der Ausbau der „neuen“ regenerativen Energie (Wind und Solar) geht in fast allen Ländern voran, in Ländern mit traditionell wenig fossiler Energie (Frankreich, Skandinavien, Alpenländer) etwas langsamer, in Italien beunruhigend schleppend, Tschechien ist ein schwieriger Fall, weil schlechte Bedingungen für regenerative Energien heimischer Kohle gegenüberstehen.
Die mittleren Spotpreise 2023 im Großhandel für Strom zeigt die nächste Darstellung. Diese Preise verstehen sich ohne Netzentgelte, Abgaben/Steuern auf Strom und Vertriebsmargen. Viele Länder in Mitteleuropa haben gekoppelte Preise. Sofern die Übertragungskapazitäten zwischen den Ländern entsprechende Stromflüsse zulassen, sind die Preise in diesen Lieferstunden jeweils identisch. Nur, wenn die Netzkapazitäten unzureichend sind, ergeben sich unterschiedliche Preise.
Es lassen sich grob vier Preisklassen identifizieren. Die skandinavischen Länder haben die niedrigsten Preise, was an dem großen Wasserkraftpotenzial liegt. Norwegen und Schweden haben mehrere Preiszonen, von denen jeweils die südlichste dargestellt ist, nach Norden wird es noch billiger. Auch Dänemark besteht historisch aus zwei Preiszonen (DK1=Jütland, also Westen, DK2=Seeland, also Osten, der mit Schweden verbunden ist). Die niedrigen Preise in DK1 sind eine Folge der großen Offshore-Windkrafteinspeisung. Deutschland, Benelux und Frankreich liegen in etwa gleich auf. Alpenländer und Osteuropa haben ein etwas höheres Preisniveau, weil sich die Windeinspeisung hier nicht mehr auswirkt und bei den hohen CO2-Preisen die Kohleverstromung teuer war. Ohne den CO2-Preis wären die Preise in der Region niedriger als in Deutschland. In Italien sind die Preise seit jeher am höchsten.
Auf Großhandelsebene sind die Strompreise in Deutschland also durchaus konkurrenzfähig, zumindest in Europa. Erst durch hohe Netzentgelte und Steuern/Abgaben auf Strom ändert sich das Bild. Die Preise in Frankreich lagen in den vergangenen Jahren deutlich über denen in Deutschland, weil die Verfügbarkeit der Kernkraftwerke so schlecht war. Für die Preisbildung entscheidend ist das teuerste Kraftwerk, das zur Lastdeckung benötigt wird. Das ist nur selten ein Kernkraftwerk; meistens wird doch noch ein Gaskraftwerk benötigt. Bei diesen Preisen erwirtschaftet ein Kernkraftwerksbetreiber sehr hohe Deckungsbeiträge. Da die französischen Kernkraftwerke in der Hand des Staates sind, nutzt die französische Regierung dieser Gelder, um die Industriestrompreise zu subventionieren. Große Teile der Industrie sind somit von obigen Preisniveaus gar nicht betroffen.
Den unterschiedlichen Preisen entsprechend stellen sich für jede Lieferstunde auch die kaufmännischen Stromflüsse zwischen den Ländern ein. Die Jahressummen 2023 von und nach Deutschland sind im nächsten Bild gezeigt.
Der Import von “billigem” Atomstrom erweist sich als Mythos. Im Winter, wenn in Südfrankreich mit Strom geheizt wird, und bei hoher regenerativer Stromerzeugung in Deutschland wird Strom nach Frankreich exportiert. Importiert wird im Sommer, bei geringer regenerativer Stromerzeugung oder bei niedriger Last (Wochenende, Last). Im Saldo gleichen sich Importe und Exporte aus. In den vergangenen Jahren überwogen die Exporte.
Hauptexporteur von Strom nach Deutschland war vielmehr Dänemark, sowohl absolut und auch im Saldo mit den Importen. Das ist Windstrom. Die Importe aus Schweden und Norwegen sind durch die Seekabelverbindungen eng begrenzt. Mit den meisten anderen Ländern gleichen sich Importe und Exporte weitgehend aus. Die Exporte nach Österreich sind durch die Übertragungskapazitäten von Nord- nach Süddeutschland begrenzt.
Insgesamt hat Deutschland 2023 rund 64 TWh Strom importiert und 52 TWh Strom exportiert, war also Nettoimporteur. Das war in den vorausgegangenen Jahren anders. Noch 2018 betrug der Exportsaldo rund 50 TWh. Für den Rückgang gibt es mehrere Ursachen: die Abschaltung der Kernkraftwerke und die resultierende Verschiebung der Merit Order, die Verteuerung der Kohleverstromung durch den CO2-Handel und der Ausbau der regenerativen Stromerzeugung in den europäischen Nachbarländern.