Ende 2023 wurden Stromverbraucher von einer weiteren, drastischen Netzentgelterhöhung überrascht. Nimmt man die Netzumlagen hinzu, sind die Netzentgelte inzwischen fast so teuer wie die Stromlieferung. Da ist es Zeit, sich das System mal genauer anzusehen.
Technisch besteht das Stromnetz aus mehreren Netzebenen, vergleichbar dem Straßennetz. Es gibt das Höchstspannungsnetz (Autobahn), das Hochspannungsnetz (Bundesstraße), das Mittelspannungsnetz (Landesstraße) und das Niederspannungsnetz (kommunale Straße). Organisatorisch gibt es vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) für die Autobahnen und gut 900 Verteilnetzbetreiber (VNB) für die übrigen Spannungsebenen. Es gibt private, kommunale und gemischte Netzbetreiber. TenneT TSO als zweitgrößter ÜNB gehört indirekt dem niederländischen Staat (Verkauf an Bundesrepublik wird gerade verhandelt). Der mit Abstand größte Verteilnetzbetreiber ist der E.ON-Konzern. ÜNB betreiben nicht nur die Infrastruktur, sondern sind auch verantwortlich für das Funktionieren des Stromsystems und haben entsprechende Rechte gegenüber den Marktakteuren.
Es werden stets kalkulatorische Kosten auf den einzelnen Spannungsebenen ermittelt und von Spannungsebene zu Spannungsebene nach unten gewälzt. Die Ermittlung der kalkulatorischen Kosten ist in der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) geregelt. Die Netzkosten umfassen dabei nicht nur die Kosten für die Infrastruktur, sondern auch für die Netzverluste, die sogenannten Systemdienstleistungen und Redispatch-Maßnahmen.
Systemdienstleistungen ist z.B. die Bereitstellung von Regelenergie. Redispatch bedeutet, dass die ÜNB wegen Netzengpässen kostengünstige Kraftwerke (im Norden/Osten) herunterfahren und teurere Kraftwerke (im Süden) hochfahren lassen und allen Betreibern dafür entsprechend Schadensersatz zahlen. Ebenso gehören Zahlungen an EE-Anlagenbetreibern für netzbedingte Leistungsreduzierungen dazu.
Zu den Netzkosten gehört auch eine kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung, die von der Bundesnetzagentur in Anlehnung an das Zinsniveau der Kapitalmärkte festgelegt wird. Die tatsächlichen Eigenkapitalrenditen können sehr viel höher sein. Das gesamte System ist sehr komplex und wird ständig weiter verkompliziert.
Die Kosten, die sich je Netzebene ergeben, werden – sofern sie nicht anteilig auf die nächste Ebene weiter gewälzt werden – auf die Verbraucher der Netzebene aufgeteilt. Dabei gilt der Erlöserhaltungssatz. Gehen die Verbräuche zurück, obwohl die Kosten gleichbleiben oder sogar steigen, ist für den verbleibenden Verbrauch entsprechend mehr zu zahlen. Der Netzbetreiber hat diesbezüglich kein unternehmerisches Risiko.
Stromerzeuger zahlen keine Netzentgelte. Stromerzeuger, die in unterlagerten Netzebenen einspeisen erhalten sogar vermiedene Netzentgelte, weil angenommen wird, dass sie die Netze entlasten. Für Windkraft und PV werden inzwischen keine vermiedenen Netzentgelte mehr bezahlt.
Netzkosten entstehen durch die Inanspruchnahme einer Netzkapazität, also einer Leistung. Das Energiewirtschaftsgesetz schreibt vor, dass die Entgelte kostenverursachungsgerecht zu bilden sind. Dementsprechend gibt es dort, wo die Leistung erfasst wird, einen Leistungspreis für die höchste Leistungsinanspruchnahme im Jahr. Bei Haushaltskunden und Kleinkunden, wo die Leistung nicht erfasst wird, gibt es einen reinen Arbeitspreis auf die Strombezugsmenge.
Das führt dazu, dass Haushalte mit PV-Anlagen zur (teilweisen) Eigenversorgung deutlich weniger Netzentgelte zahlen als Haushalte ohne PV-Anlage, obwohl sie die gleiche Kapazität beanspruchen, denn im Winter in den Abend- und Morgenstunden, wo die Netzlast am höchsten ist, erzeugt die PV-Anlage keinen Strom.
Als separate Umlagen je Kilowattstunde werden den Netzentgelten außerdem die KWK-Umlage, die Offshore-Umlage, die § 19 StromNEV-Umlage und die Konzessionsabgabe hinzugefügt. Während es sich bei der Konzessionsabgabe und der KWK-Umlage nicht um Netzkosten handelt, gilt dies für die Offshore-Umlage und die § 19 StromNEV sehr wohl. Die § 19-Umlage für 2024 steigt durch den Wegfall der bereits zugesagten 5,5 Mrd. € Subvention durch die Bundesregierung auf 0,643 ct/kWh.
Bereits vor Jahrzehnten wurde festgestellt, dass die Stromnetzentgelte in Deutschland viel höher sind als im europäischen Ausland. Netzbetreiber haben stets auf die höhere Versorgungssicherheit in Deutschland verwiesen. Seitdem sind die Netzentgelte immer weiter gestiegen, obwohl die Kapitalmarktzinsen gesunken sind und der Netzausbau bislang ja gar nicht richtig stattgefunden hat. Ursache sind zum einen die gestiegenen Redispatach-Kosten und zum anderen der sinkende Stromverbrauch in den unteren Spannungsebnen durch PV-Anlagen und andere dezentrale Stromerzeugung.
Seit Inkrafttreten der Stromnetzentgeltverordnung 2005 gibt es regional extrem unterschiedliche Netzentgelte in Deutschland. Im Norden und Nordosten sind sie am höchsten und im Südwesten am niedrigsten. Die Ursache sind unterschiedliche Abnahmedichten in den Netzen, insbesondere wegen unterschiedlicher Industriestromverbräuche. Im Osten kommt hinzu, dass dort nach 1990 die Netze praktisch neu und überdimensioniert gebaut worden sind. Das Auseinanderdriften hat sich durch den Ausbau der regenerativen Energien noch verstärkt. Dort, wo viel EE-Strom erzeugt wird, muss viel bezahlt werden, dort, wo er teuer hin transportiert wird, wenig. Es liegt auf der Hand, dass das ökonomischer Unsinn ist.
Inzwischen ist die Angleichung der Netzentgelte auf Übertragungsnetzebene zur Abfederung des Effekts umgesetzt. Zusätzlich soll ab 2025 ein Umlagesystem eingeführt, dass Netzbetreiber mit Überschuss an EE-Stromerzeugung entlastet (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern) und die Kosten über den Umlagemechanismus des § 19-StromNEV wälzt. Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass die § 19-Umlage dadurch um ca. 0,6 ct/kWh steigt (für Verbräuche < 1 GWh). Die Entlastung ist je Netzbetreiber und Spannungsebene verschieden. Für Schleswig-Holstein Netz geht die Bundesnetzagentur von mehr als 5 ct/kWh (ausgehend von einem Entgelt von über 15 ct/kWh) für Kleinkunden aus. In Summe über die Netznutzer ergibt sich durch die Maßnahme keine Mehrbelastung, für einzelne Netznutzer sehr wohl, insbesondere für Kleinkunden in Netzen mit relativ wenig EE-Einspeisung im Verhältnis zum Verbrauch.
In den nächsten Jahren ist insgesamt von weiter dramatisch steigenden Netzentgelten auszugehen. Die Ursachen hierfür sind:
- Steigende Redispatch-Kosten, insbesondere die Abregelung von EE-Anlagen
- Kosten für den Ausbau der Verteilnetze für Wärmepumpen, Batterieautos und PV-Anlagen
- Kosten für den Ausbau des Transportnetzes von Nord nach Süd für den Transport von Windstrom (onhore und offshore), zumal mit Südlink und Südostlink unfassbar teure Technologien gewählt wurden
- Steigende, kalkulatorische Zinsen (Netze sind extrem kapitalintensiv)
- Inflation
- Steigende Bürokratiekosten für Netzbetreiber
- Rückgang des Industriestromverbrauchs (Erlöserhaltungssatz) durch De-Industrialisierung
- Rückgang des Stromverbrauchs im Niederspannungsnetz durch PV-Anlagen zur Eigenstromerzeugung
- Subventionierung des Stromverbrauchs von Wärmepumpen und Batterieautos
- Steigende Offshore-Umlage durch mehr Offshore-Windparks (weit draußen auf dem Meer)
- Steigende §19 StromNEV-Umlage (steigt mit den Netzentgelten, losgelöst von obigem Umlagesystem)
Der Transport und die Verteilung von Energie in Form von Strom ist nun einmal viel teurer als bei chemischen Energieträgern, erst recht, wenn man es so ineffizient und kostspielig macht wie in Deutschland. Hierüber gibt es aber nicht einmal eine politische Diskussion. Bei der Frage, ob im Verkehr und Wärmesektor eher Strom oder Wasserstoff eingesetzt werden sollen, werden die hohen Netzkosten beim Strom auch gerne einmal übersehen.