Diskussionspapier der Bundesnetzagentur zur Netzentgeltreform

Die Bundesnetzagentur hat am 12.05.2025 ein Diskussionspapier zur Netzentgeltreform ab 01.01.2029 veröffentlicht. Eine grundlegende Reform der Netzentgeltsystematik ist schon lange überfällig und einer der wichtigsten Bausteine, um eine kosteneffiziente, klimaneutrale Energienutzung zu ermöglichen.

Eine neue Netzentgeltsystematik bietet eine große Chance, Themen wie Flexibilisierung von Stromverbrauch und -erzeugung, optimalem Einsatz von Speichern in zeitlicher und räumlicher Hinsicht, richtige räumliche Allokation von Erzeugungsanlagen und eine bestmögliche Auslastung des Netzes zur Minimierung des Netzausbaus und damit der Netzkosten zu bewirken.

Im Gegenzug bedeutet eine schlecht gemachte Netzentgeltsystematik, dass es so weiter geht wie bislang: Anlagen und Speicher werden irgendwo platziert und irgendwann betrieben, die Netze sind überlastet, obwohl immer mehr ausgebaut wird, EE-Strommengen werden abgeregelt, der Wasserstoffhochlauf startet weiterhin nicht etc. Es würde vermutlich weitere zehn Jahre dauern, bis es dann zu einer vernünftigen Regelung käme.

Zwar gibt es bislang nur ein Diskussionspapier, jedoch lässt dieses bereits jetzt befürchten, dass es nicht zu einer vernünftigen Regelung kommen wird. Bis 30.06. können Stellungnahmen zu dem Thema bei der Bundesnetzagentur abgegeben werden.

Eckpunkte des Diskussionspapiers

Es werden vier Bewertungskriterien für die Netzentgeltsystematik aufgestellt:

  • Kostenorientierung
  • Anreizfunktion
  • Finanzierungsbeteiligung
  • Umsetzbarkeit

Mit Kostenorientierung ist hier gemeint, dass durch die Netzentgelte die Netzkosten tatsächlich gedeckt werden. Das sollte selbstverständlich sein, auch wenn diese Forderung nicht periodengleich erfüllt sein muss, sondern – wie jetzt auch – über das Regulierungskonto nach mehreren Perioden erfüllt werden kann.

Mit Anreizfunktion ist netzdienliches Verhalten gemeint. Den Begriff „Finanzierungsbeteiligung“ würde man eher mit Kostenverursachungsgerechtigkeit übersetzen, also jeder Netznutzer (dazu gehören auch die Einspeiser) zahlt für die Kosten, die er auch verursacht. Anstelle von Kostenverursachungsgerechtigkeit wird das Wort „Kostenreflexivität“ benutzt.

Umsetzbarkeit bezeichnet die praktische Handhabung der Regelungen. Im Zeitalter von Digitalisierung und Energiedatenmanagementsystemen gibt es hier – anders als bei der Verabschiedung der ursprünglichen StromNEV – kaum noch Restriktionen.

Es werden folgende Anpassungsoptionen diskutiert:

Beteiligung der Stromerzeuger an den Netzentgelten

Dass die Netzentgelte ausschließlich von den Verbrauchern gezahlt werden und die G-Komponente (G für Generation) Null ist, hat historische Ursachen und ist inzwischen überholt. In vielen Netzbereichen verursachen gerade die Stromerzeuger einen Netzausbau und damit Kosten. Deswegen müssen sie an den Netzkosten beteiligt werden. In anderen Ländern ist das bereits so.

Nur damit kann erreicht werden, dass die Stromerzeugungsanlagen und Speicher dorthin gebaut werden, wo die Summe aus Erzeugungskosten und Netzkosten (also die Systemkosten) minimiert werden. Anderenfalls werden nur die Erzeugungskosten optimiert und die Netzkosten in beliebiger Höhe der Allgemeinheit aufgebürdet.

Die Bundesnetzagentur verweist zurecht auf den problematischen Umgang mit den Bestandsanlagen. Diese müssten aus der Entgeltzahlung herausgenommen werden. Für sie kommt jede Anreizwirkung ohnehin zu spät. Selbstredend muss es Anpassungen bei den Höchstwerten in den EEG-Ausschreibungen geben, aber bis 2029 dürfte das bisherige EE-Fördersystem ohnehin nicht mehr bestehen.

Die Einspeisenetzentgelte müssen so ausgestaltet sein, dass in Netzen, in denen die Verbrauchslast die Einspeiselast deutlich übersteigt, Null sind. Dadurch wird erreicht, dass EE-Anlagen dort gebaut werden, wo sie keinen Netzausbau erfordern.

Eine Erhöhung der Großhandelspreise durch Netzentgelte für Einspeiser ist nicht zu erwarten, sofern die Netzentgelte dynamisch ausgestaltet sind. Im Strommarkt werden über weite Zeitbereiche künftig Gaskraftwerke preissetzend sein. Diese sollten jedoch dort stehen, wo sie das Netz entlasten und nicht belasten. Vielmehr treffen die Netzentgelte EE-Anlagen, die zur falschen Zeit und/oder am falschen Ort Strom einspeisen, der dann sowieso nur zu negativen Preisen und ggfs. Redispatch-Bedarf führt. Genau das soll ja vermieden werden.

Einführung eines Grundpreises

Ein pauschaler Grundpreis, der unabhängig von Höhe und zeitlichem Verlauf des Verbrauchs zu zahlen ist, entfaltet keinerlei Steuerungswirkung, im Gegenteil. Richtig ist, die Netznutzer, die zwar wenig Strom beziehen, aber die gleiche Leistung zum Zeitpunkt der Netzhöchstlast in Anspruch nehmen wie Netznutzer, die viel Strom verbrauchen, angemessen an den Netzkosten zu beteiligen. Dies betrifft in erster Linie Betreiber von PV-Anlagen ohne Leistungspreisregelung (von der BnetzA als Prosumer = Producer und Consumer bezeichnet). Dieses Ziel lässt sich aber mit dynamischen Netzentgelten viel eleganter und präziser erreichen.

Kapazitätspreis statt Leistungspreis

Kapazitätspreis bedeutet, dass ein Netznutzer nicht die tatsächlich im Jahr in Anspruch genommene Leistung bezahlt, sondern eine vorher fest bestellte, die dann auch nicht überschritten werden darf. Als Vorteil gibt die Bundesnetzagentur eine bessere Planbarkeit der Erlöse für den Netzbetreiber an. Dieser Aspekt scheint der Bundesnetzagentur insgesamt sehr am Herzen zu liegen.

Wie der Grundpreis ist auch ein Kapazitätspreis als von Höhe und zeitlichem Verlauf des Verbrauchs unabhängige Entgeltkomponente kontraproduktiv mit Hinblick auf eine Dynamisierung von Verbrauch und Erzeugung.

Dynamische Netzentgelte

Die BnetzA spricht zwar von dynamischen Netzentgelten, meint aber zeitvariable Netzentgelte. Sind die Zeiten statisch, also z.B. für ein Jahr festgelegt, handelt es sich nicht um dynamische Netzentgelte. Nur wenn die Zeiten dynamisch sind, z.B. täglich aufgrund von Netzlastprognosen festgelegt werden, handelt es sich um dynamische Netzentgelte. Die atypische Netznutzung nach § 19 (2) Satz 1 StromNEV ist ein zeitvariables Netzentgelt, aber eben nicht dynamisch.

Die Bundesnetzagentur steht dynamischen Netzentgelten eher ablehnend gegenüber. So heißt es:

„Unter Berücksichtigung des abnehmenden Grenznutzens der Beanreizung zusätzlicher Dynamik, ist auf lange Sicht ein zusätzlicher Ausbau (des Netzes) volkswirtschaftlich und zur Realisierung der Energiewende günstiger, als die Netznutzung auf die vorhandene Kapazität zu beschränken.“

Zu Deutsch: Bevor wir die bestehenden Netze richtig ausnutzen, bauen wir lieber zusätzliche Netze, das ist billiger.

Es wird noch nachgeschoben, dass dynamische Netzentgelte zu kompliziert sind. Es müssten dafür die Netze digitalisiert sein. Das ist ohnehin genau das, was passieren muss. Mit anderen Worten: drei Jahre Vorbereitungszeit reichen nicht aus, um ein System zu etablieren, dass allein geeignet ist, die notwendige Steuerungsfunktion von Entgelten im Strommarkt zu gewährleisten.

Energieversorger müssen dynamische Stromtarife anbieten, also Haushaltskunden viertelstundenscharf abrechnen. Netzbetreiber müssen Millionen von EEG-Anlagen unter Berücksichtigung von negativen Spotpreisen viertelstundenscharf abrechnen. Aber die Abrechnung von dynamischen Netzentgelten ist zu kompliziert?

Bundeseinheitliche Netzentgelte

Der Ursprung dieser Idee liegt weniger in der Energiewirtschaft als vielmehr in der Politik, wo die „gerechte“ Verteilung der Kosten ein Anliegen ist. Es ist in der Tat nicht einsichtig, dass Menschen und Unternehmen im Norden und Nordosten höhere Netzentgelte zahlen müssen als solche im Süden, weil dort der Windkraftausbau jahrzehntelang blockiert worden ist. Das gilt umso mehr, als bei der politischen Festlegung auf eine Strompreiszone das Solidaritätsprinzip eingefordert wurde.

Allerdings gehört der Ausgleich nicht auf diesem Weg in die Netzentgeltsystematik. Einerseits ist es zu kompliziert (das sieht auch die BnetzA so), andererseits werden sämtliche Anreizwirkungen zur richtigen lokalen Allokation konterkariert.

Ein gewisser regionaler Ausgleich kann durch die G-Komponente erzielt werden. In Netzbereichen mit hoher EE-Einspeisung werden die von den Verbrauchern zu zahlenden Netzkosten entsprechend kleiner. Um diesen Effekt spürbar werden zu lassen, könnten Bestandsanlagen in diese Systematik miteinbezogen werden, allerdings mit der Maßgabe, dass der Netzbetreiber diese Entgelte auf ein separates Konto einzahlt, dass dann bundesweit ausgeglichen wird.

Dadurch würde der bisherige Wälzungsmechanismus nach BK8-24-001A ersetzt. Ähnlich wurde in der Vergangenheit mit den vermiedenen Netzentgelten für EEG-geförderte Anlagen verfahren. Diese wurden nicht an die Anlagenbetreiber ausgezahlt, sondern dem EEG-Konto gutgeschrieben.

Speicherentgelte

Bis 31.12.2028 sind Energiespeicher unter bestimmten Voraussetzungen von den Netzentgelten vollständig befreit. Daneben gibt es noch komplizierte Sonderregelungen. Ein Speicherbetreiber (Ausnahme: ungesteuerte Heimspeicher) wird Strom aus dem Netz entnehmen, wenn die Strompreise am Spotmarkt niedrig sind und einspeisen, wenn sie hoch sind. Dieses Verhalten kann gleichzeitig netzdienlich sein, muss es aber nicht.

Die BnetzA erachtet ein separates Entgeltmodell für Speicher offenkundig für sinnvoll, macht aber keinen Vorschlag hierzu.

Fazit zum Diskussionspapier

Das Diskussionspapier spiegelt fast ausschließlich die Sichtweise und Interessen der Netzbetreiber wider. Der Strommarkt, Flexibilitätsanreize, die Steuerung des Zubaus von EE-Anlagen, Speichern etc. spielen bestenfalls am Rande eine Rolle. Wichtig ist, dass die Netzbetreiber planbare Erlöse und nicht zu viel Stress mit den Netzabrechnungen haben. Der Netzbetreiber ist hier nicht Dienstleister für den Markt. Die Optimierung der Gesamtsystemkosten spielt keine Rolle. Von dem dringend notwendigen, großen Wurf ist dieses Papier meilenweit entfernt.

Bemerkenswerterweise gibt es viele Übereinstimmungen in dem Papier mit dem eine Woche zuvor vom BDEW veröffentlichten Diskussionspapier „Überlegungen zur Weiterentwicklung der Netzentgeltsystematik Strom“. Mit Stromverbrauchern hat offenkundig keine Abstimmung stattgefunden.

Alternative

Ich hatte hier ein dynamisches Netzentgeltmodell vorgeschlagen, mit dessen Hilfe sich alle oben skizierten Anforderungen erfüllen lassen. Es gäbe dann nur noch ein einziges, parametrierbares Modell für alle Netze und alle Netznutzer anstelle von jetzt schon sehr vielen und sehr komplizierten Regelungen, die offenkundig nach dem Willen der Bundesnetzagentur noch erweitert und verkompliziert werden sollen. Auch andere dynamische Netzentgeltmodelle sind denkbar.

Eine Fokussierung auf den Leistungspreis, wie ihn der BDEW favorisiert, unterstellt, dass es für die benötigte Netzkapazität unerheblich ist, wann die Leistung in Anspruch genommen wird. Dabei ist es doch in einem Netz und zu einem Zeitpunkt, in dem Strom aus niedrigeren Spannungsebenen zu höheren transportiert werden muss, wünschenswert, dass Verbraucher Entnahmeleistung in Anspruch nehmen.

Das deutsche Energiesystem steht in den nächsten Jahren vor massiven Umwälzungen. Da kann es nicht sein, dass ausgerechnet das Netzentgeltsystem auf Leistungspreisen, die aus dem letzten Jahrhundert stammen beruht.

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