Energie bleibt politisches Dauerthema. Einerseits liegen jetzt die politischen Willensbekundungen der wahrscheinlich künftigen Regierung vor, andererseits machen die Ereignisse der letzten Wochen eine Neujustierung der Energiepolitik notwendig.
Ergebnisse der Sondierungsgespräche von Union und SPD
Union und SPD haben am Wochenende die Ergebnisse ihrer Sondierungsgespräche veröffentlicht. Das sind bislang nur Eckpunkte, bis daraus konkrete Gesetze werden, gibt es viel Interpretationsspielräume. Die wichtigsten Punkte sind:
- Als erstes soll die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß von 0,05 ct/kWh abgesenkt werden. Ab wann ist unklar. Warum die EU die Stromsteuer nicht ganz abschafft, versteht man nicht.
- Danach sollen die Übertragungsnetzentgelte dauerhaft auf die Hälfte gesenkt werden.
- Insgesamt sollten die Energiekosten (gemeint sind die Stromkosten) schnell um mindestens 5 ct/kWh sinken. Die beiden vorgenannten Maßnahmen reichen dazu nicht aus. Die Hälfte der Übertragungsnetzentgelte (gemeint sind vermutlich die Kosten) sind derzeit ungefähr 1,7 ct/kWh, die Stromsteuerabsenkung maximal 2 ct/kWh. Produzierende Unternehmen zahlen schon heute nur 0,05 ct/kWh Stromsteuer. Unklar ist, wie das insgesamt gehen soll und für wen die 5 ct/kWh gelten. Was passiert mit Offshorenetzumlage & Co.?
- Die Stromnetzentgelte sollen dauerhaft gedeckelt werden. Da der Infrastrukturfonds ausdrücklich Energieinfrastruktur einschließt, sollte Geld vorhanden sein. Die Technologieneutralität geht damit über Bord, weil der Energieträger Strom einseitig subventioniert wird.
- Die Strompreiskompensation soll verlängert und auf weitere Branchen ausgeweitet werden.
- Der Netzausbau soll „zielgerichtet“ und „kosteneffizient“ vorangehen. Zu Deutsch: keine Stromautobahnen mehr in die Erde und nur so viel Netz wie wirklich benötigt wird. Die bisherigen Planungen sind, Stand heute, überdimensioniert.
- Kohlekraftwerke, die sich in der Reserve befinden, sollen in den Markt zurückkehren. Warum sollte man die nicht nutzen, wenn sie ohnehin da sind? Neben Klimaschutz gibt es da noch den Aspekt der Versorgungssicherheit und Kosteneffizienz. Es droht ein Gas-Kartell von Trump, Putin und Qatar. Da ist sparsamer Umgang mit Gas angesagt.
- Bis zu 20 GW neue Gaskraftwerke sollen bis 2030 im Rahmen einer überarbeiteten Kraftwerksstrategie gebaut werden, vorzugsweise an bestehenden Kraftwerksstandorten.
- Solar-, Wind- und Bioenergie sowie Geothermie sollen netzdienlich ausgebaut werden, außerdem Speicher. Das Attribut „netzdienlich“ könnte darauf hindeuten, dass der Wildwuchs endlich beendet wird und stattdessen die Strommengen zur richtigen Zeit und am richtigen Ort erzeugt werden sollen.
- Elektromobilität soll durch Kaufanreize gefördert werden, die Autoindustrie technologieoffen unterstützt werden. Hier könnte man eine Abkehr vom Verbot von Verbrennungsmotoren erkennen.
- Zur Dekarbonisierung der Industrie soll CCS/CCU ermöglicht werden, vorrangig für schwer vermeidbare Emissionen. Das wollte die Ampel auch schon.
- Das Wasserstoffkernnetz soll auch die industriellen Zentren im Osten und Süden erschließen.
- Batteriefertigung und Wasserstoffindustrie sollen in Deutschland angesiedelt und gehalten werden.
- Kernfusionstechnologie soll vorangetrieben werden.
- Es sollen Leitmärkte und Quotenregelungen für „grüne“ Produkte wie Grünen Stahl geschaffen werden. CCFD könnten damit vom Tisch sein.
- Die Klimaziele werden bestätigt, es wird allerdings darauf hingewiesen, dass der Klimawandel nur global aufgehalten werden kann.
Keine Aussagen finden sich zu folgenden Themen:
- Kernkraftwerke (alte/neue)
- Klimageld
- Netzentgeltreform
- EEG
- PPA
- Heizenergiegesetz
- KWK-Förderung
- Emissionshandel (insbesondere nationaler Emissionshandel 2026)
- Wasserstoffstrategie
Neujustierung der Energiepolitik
Die jüngsten weltpolitischen Ereignisse machen eine Neujustierung der deutschen und europäischen Energiepolitik notwendig.
Ausgangslage
Deutsche und europäische Politik betreiben seit vielen Jahren Realitätsverweigerung. Es gab mehr als genug deutlich Hinweise darauf, dass Trump nicht länger Verbündeter der Europäer sein möchte.
Das ergibt sich schon daraus, dass es in seiner Welt nur zwei Arten von Akteuren gibt: Feinde und Untergebene. Da Europa sich nicht unterwerfen will, ist es für ihn ein Feind. Das hat er auch deutlich so gesagt. Bei aller notwendigen Relativierung Trumpscher Äußerungen, muss Europa das endlich ernst nehmen. Trump steht nicht allein, seine Politik hat großen Rückhalt in den USA, sonst wäre er nicht trotz allem ein zweites Mal gewählt worden.
Seit vielen Jahren rüsten Putin, China und die USA auf, während Europa immer weiter abrüstet und stattdessen Geld für idealistische und ideologische Ziele ausgibt. Vor drei Jahren hat die Ampelregierung eine Zeitenwende verkündet, sie aber nicht vollzogen.
Unter der Herrschaft von Putin und/oder Trump wird es Klimaneutralität, soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit, Toleranz, offene Grenzen etc. nicht geben. Damit sollten die künftigen Prioritäten der Politik endgültig klar sein.
Grundsätze künftiger Energiepolitik
Die veränderte Weltlage erfordert neben den offenkundig notwendigen Maßnahmen auch eine Neujustierung der Energiepolitik. Es besteht die große Gefahr, dass Putin/Trump die Abhängigkeit Europas von Erdgasimporten konsequent ausnutzen werden.
Bereits in Trumps erster Amtszeit haben die Amerikaner versucht, North Stream 2 und damit größere Gaslieferungen aus Russland nach Europa zu verhindern. Diese Gaslieferungen hatten nie etwas mit Sicherheit oder der Ukraine (abgesehen davon, dass die Ukraine drohte, Durchleitungsentgelte zu verlieren) zu tun, sondern allein mit amerikanischem Bestreben, eigenes Gas nach Europa zu exportieren. Der Terroranschlag auf NorthStream1 und 2 geht sicher nicht auf Islamisten und nicht auf Russland zurück. Derzeit bemühen sich amerikanische Unternehmen, Kontrolle über die noch intakte Röhre von North Stream 2 zu erlangen.
Putin hat schon vor mehreren Jahren versucht, ein Gaskartell nach OPEC-Vorbild ins Leben zu rufen. Mit Trump könnte er seinem Ziel ein ganzes Stück näher gerückt sein. Qatar als dritter großer Gaslieferant wird sicher auch nicht abgeneigt sein. Zusammen würden sie weit mehr als 50% des weltweiten LNG-Handels kontrollieren. Damit werden Gaslieferungen mehr denn je ein Druckmittel gegen Europa. Die USA, Russland und Qatar stehen für mehr als 70% der europäischen LNG-Importe. Gaspreise sind dann keine fairen Wettbewerbspreise mehr, sondern hohe Monopolpreise. Es sollte jedem klar sein, dass wir uns Energiepreise wie 2022 nicht noch einmal leisten können. McKinsey hat gerade darauf hingewiesen, dass der Erdgasbedarf bis 2030 sehr viel höher sein wird als bislang im Netzentwicklungsplan angenommen.
Nur wenige Energieexperten hatten seinerzeit auf die Gefahr der hohen Abhängigkeit von russischen Energieimporten, insbesondere Erdgas hingewiesen (ich schon).
In den vergangenen Jahren wurde der Schwerpunkt im Spannungsdreieck aus Umweltverträglichkeit (Klimaschutz), Wirtschaftlichkeit (Kosteneffizienz) und Versorgungssicherheit deutlich in Richtung Klimaschutz verschoben. Teile der Politik haben die mangelnde Wirtschaftlichkeit erkannt, ohne dass bislang überzeugende Konzepte, geschweige denn konkrete Maßnahmen vorgelegt worden sind, daran etwas zu ändern.
Bei der Versorgungssicherheit wird davon ausgegangen, dass die Versorgung mit LNG zu wirtschaftlichen Konditionen gesichert ist. Tatsächlich muss aber spätestens nach den politischen Ereignissen der letzten Wochen das Risiko, hinsichtlich des LNG-Bedarfs erpressbar zu sein, in die Überlegungen stärker einbezogen werden. Jenseits der USA, Russland und Qatar gibt es keine Länder, die kurz- oder mittelfristig deren LNG-Mengen ersetzen könnten.
Deutschland und die EU müssen deswegen dringend ihre Abhängigkeit von Erdgas signifikant reduzieren. Das bedeutet nicht zwingend eine Reduzierung des Verbrauchs, wichtig ist vielmehr die Schaffung einer kurzfristigen Alternative zum Erdgas, sollte dies politisch oder wirtschaftlich notwendig werden. Bereits das Bestehen einer solchen Alternative reduziert das Risiko, sie nutzen zu müssen erheblich. So wie ein starkes Militär das Risiko einer militärischen Aggression Dritter mindert.
Erdgas wird zur Stromerzeugung, im Wärmemarkt und als chemischer Grundstoff genutzt. Im Strommarkt lässt sich Erdgas kurzfristig durch bestehende Kohlekraftwerke und durch regenerativen Strom ersetzen. Im Wärmemarkt gibt es neben den bekannten Alternativen (Wärmepumpen, Pellets, Solarthermie, Geothermie etc.) die Möglichkeit, einfach elektrolytisch erzeugten Wasserstoff in das Erdgasnetz einzuspeisen. Als Grundstoff kann Erdgas in den meisten Fällen nur durch Wasserstoff ersetzt werden.
Bausteine
Angesichts dauerhaft knapper Haushaltskassen und der Notwendigkeit, Wirtschaft und Industrie wettbewerbsfähig zu halten, sind deswegen folgende Neujustierungen in der Energie- und Klimaschutzpolitik notwendig:
- Alle bestehenden Kohlekraftwerke in Europa müssen als Backup am Netz und im Markt und nicht in einer Reserve neben dem Markt bleiben. Entscheidend für ihre CO2-Emissionen ist nicht, ob sie am Netz sind, sondern wieviel Strom sie erzeugen. Als Backupkraftwerke werden sie nur sehr wenig Strom erzeugen, so dass nur sehr wenig mehr Treibhausgasemissionen damit verbunden wären. Der Kosteneffekt ist jedoch ganz erheblich, auch ohne dass es beim Gas zu Knappheitspreisen kommt. Nebenbei werden weniger neue Gaskraftwerke benötigt. Dieser Ansatz muss in dem kommenden Kapazitätsmechanismus berücksichtigt werden. Für inhaltslose Symbolpolitik („Kohleausstieg“) ist kein Geld da.
- Der Ausbau geeigneter regenerativer Energien muss endlich beschleunigt werden. Für Deutschland bedeutet das vor allem den Ausbau der Windenergie, denn entgegen der landläufigen Meinung ist hier immer noch lange nicht genug passiert. Regenerative Energien haben den großen Vorteil im eigenen Land und in Europa verfügbar zu sein. Man muss sie nur richtig nutzen.
- Sollte der Emissionshandel (EU-ETS1) den Fuel-switch von Kohle zur Erdgas erforderlich machen und es zu einem politisch motivierten Preisanstieg bei Erdgas kommen, würden CO2-Preise und damit Strompreise eskalieren. Bei der letzten Gaskrise haben wir Glück gehabt, dass das nicht passiert ist. Es müssen für diesen Fall Vorkehrungen im EU-ETS1 getroffen werden.
- Neben dem konventionellen Stromverbrauch (ohne Wärmepumpen und Elektromobilität) muss die Erzeugung von Wasserstoff Priorität bei der Verwendung des Stroms haben – auch vor der Energiespeicherung in Lithium-Ionen-Batterien.
- Die Förderung von Elektromobilität kann vorübergehend zurückgestellt werden. Konventionelle Autos mit Verbrennungsmotoren fahren mit Erdölprodukten und nicht mit Erdgas. Bei Erdöl ist das Risiko von (politisch motivierter) Knappheit unverändert gering. Die CO2-Einsparungen durch E-Mobilität sind bei der derzeitigen Stromerzeugungsstruktur marginal.
- Die Wärmepumpenförderung kann gestrichen werden. Der Ausbau der Wärmepumpen wird auch ohne weitergehen. Solange im Winter, wenn die Wärmepumpen ihren Verbrauchsschwerpunkt haben, in großem Umfang fossile Energieträger, auch Erdgas, zur Stromerzeugung eingesetzt werden, sind CO2-Einsparung und Reduzierung des Erdgasbedarfs durch Wärmepumpen sehr gering und stehen in keinem Verhältnis zu den Förderungen.
- Wasserstoff ist vorzugsweise in Europa zu erzeugen, zumindest aber in „sicheren“ Ländern. Saudi-Arabien, das auch unter Trump eng mit den USA befreundet ist, gehört nicht dazu. Zwar ist der Strom in Europa für die Elektrolyse teurer als in Wüstenregionen, dafür ist aber der Transport per Pipeline möglich, was den Kostennachteil kompensiert.
- Wasserstoff ist vorzugsweise dort einzusetzen, wo er Erdgas verdrängt, also als chemischer Grundstoff oder energetischer Ersatz für Erdgas. Wasserstoff lässt sich einfach ins Erdgasnetz einspeisen. Die bisherige Wasserstoffstrategie ist weitgehend gescheitert. Grüner Stahl, bei dem Wasserstoff Kokskohle ersetzt, hat keine Priorität.
- Die Erdgasförderung in Europa muss erhöht werden. Sofern sich die Erschließung von Erdgasquellen bis 2050 nicht rentiert, kann das Erdgas danach zur Erzeugung von türkisem Wasserstoff genutzt werden.
Alle bislang schon notwendigen Anpassungen in der Energiepolitik wie Netzausbau, die Nutzung der Offshore-Windkraft zur Wasserstofferzeugung auf See anstelle des teuren Stromtransports an Land und zu den Verbrauchern im Süden, einem grundlegend neuen Stromnetzentgeltsystem, einer Reform der Emissionshandelssysteme, der Einstellung der (indirekten) Förderung von Kleinst-PV-Anlagen, Technologieneutralität, Abschaffung der Stromsteuer etc. sind mit Nachdruck umzusetzen.
Selbstredend sind alle Klimaschutzmaßnahmen, die europäische Unternehmen im internationalen Wettbewerb benachteiligen, zu kompensieren. Die bislang existierenden oder angedachten Mechanismen (CBAM) sind unvollständig, weil sie Exporte außen vorlassen und nur wenige Branchen erfassen, Autos, Batterien und Solarmodule zum Beispiel nicht.
Die Unabhängigkeit von außereuropäischen Ländern muss entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Energienutzung hergestellt werden, von den Rohstoffen über Batterien, Solarmodule bis zur Steuerungssoftware. Unabhängigkeit bedeutet, dass einzelne Länder, Unternehmen oder Kartelle Europa nicht erpressen können.