Disruptive Ereignisse im Energiemarkt

Im Energiemarkt sind die Akteure immer wieder mit disruptiven Ereignissen konfrontiert. Lange Zeit passiert Nichts, bis es einen heftigen Ausbruch gibt. Das Phänomen ist im Video unten eindrucksvoll veranschaulicht. Es gibt kein zeitliches Muster für die Eruptionen; sie sind auch nicht alle von gleicher Heftigkeit. Die Zeiträume zwischen den Eruptionen sind einschläfernd, erfordern aber permanent höchste Wachsamkeit.

Für den Außenstehenden kommen die Ausbrüche vollkommen unvermittelt. Tatsächlich sind sie aber die Folge von physikalischen Gesetzen und Vorgängen unter der Erde. Sobald eine bestimmte Kombination aus Druck und Temperatur erreicht ist, wird Wasser herausgeschleudert. Wer alle physikalischen Parameter kennt, könnte den Zeitpunkt der nächsten Eruption exakt berechnen und ggfs. Nutzen aus diesem Wissen ziehen. Das ist die Theorie, in der Praxis sind die Daten und auch Zusammenhänge nur teilweise oder nicht exakt bekannt. Dann helfen nur geduldige Beobachtung und blitzschnelle Reaktionen.

Die Analogie zum Energiemarkt (oder auch anderen Commodity-Märkten) ist offenkundig. Profunde Kenntnis der Zusammenhänge und Einflussfaktoren sowie ein durchgängiges Beobachten und Analysieren aller relevanten Parameter bewahren den Marktakteur vor unangenehmen Überraschungen.

Die letzte Woche lieferte ein aktuelles Beispiel hierfür. Die Preisspitzen am Spotmarkt haben für viel Aufregung gesorgt. Bei echten Experten hingegen hat nur die Aufregung Verwunderung hervorgerufen, nicht die Preisspitzen.

Seit der Liberalisierung des Strommarktes Ende der neunziger Jahre und der Entwicklung eines liquiden Stromgroßhandels hat es eine Reihe von disruptiven Ereignissen und Preisentwicklungen im Energiemarkt gegeben, die auf den ersten Blick vollkommen unerwartet scheinen, bei näherem Hinsehen jedoch teilweise erwartbar waren.

Start Emissionshandel 2005

Die Preise an den Spot- und Terminmärkten sind 2005 massiv angestiegen. Ursache war die Einführung des europäischen Emissionshandels. Die Kraftwerksbetreiber haben die Emissionsrechte kostenlos erhalten, sie aber trotzdem als Opportunitätskosten in die Spotpreise einkalkuliert. Die Preise für die Emissionszertifikate wurden in dünnem Handel spekulativ auf das Dreifache getrieben, bevor sie im Frühling 2006, als die tatsächlichen Emissionen bekannt gegeben wurden, zusammenfielen.

Die Einpreisung der Zertifikatspreise als Opportunitätskosten hätte jeder Student der Wirtschaftswissenschaften sich an drei Fingern abzählen können. Die Scharen von Experten, Beratern und Politikern, die den Emissionshandel konzipiert haben, sind dabei offenkundig auf vier gekommen.

Merke: Nur, weil angeblich die große Mehrheit von „Experten“ etwas meint, heißt das noch lange nicht, dass es stimmt.

Finanzkrise 2008/2009

Bereits Anfang 2008 stiegen die Preise für Erdgas, Öl, Kohle, CO2-Zertifikate und Strom massiv an. Die Situation eskalierte bis zum Sommer, Öl kostete 150 $/barrel, Kohle 200 $/t, eine Baselieferung im Strommarkt für das Folgejahr in der Spitze damals unvorstellbare 90 €/MWh. Täglich verkündeten „Experten“ wie knapp Energie sei, bei Rohöl wurde schon die maximal mögliche Fördermenge („Peak-Oil“) ausgerufen und Warnungen vor noch höheren Preisen machten die Runde.

Dann brach alles zusammen. Die Energiepreise halbierten sich binnen Jahresfrist. Die Energieknappheit war nur ein Gerücht und mit Daten nicht zu belegen. Spekulanten hatten versucht ihr Geld mit Spekulationen auf Rohstoffe vor der Finanzkrise in Sicherheit zu bringen.

Merke: Tu nicht ungefragt, was alle tun; alle hat kein Gesicht (Herbert Grönemeyer).

Fukushima 2011

Ein Tsunami hatte im März 2011 mehrere Kernkraftwerksblöcke in Fukushima/Japan zerstört und einen Super-GAU ausgelöst. In der Folge wurden weitere Kernkraftwerke in Japan zumindest vorübergehend abgeschaltet. Die fehlenden Kapazitäten mussten durch den Import von Kohle und Erdgas ersetzt werden. Warum ist das Risiko eines Tsunamis nie berücksichtigt worden?

Einige Tage später hat die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP unter Angela Merkel, nachdem sie gerade erst die Laufzeiten der Kernkraftwerke großzügig verlängert hatte, die sofortige Abschaltung der Siedewasserreaktoren und eine deutliche Verkürzung der Laufzeiten der übrigen Kernkraftwerke beschlossen. Das war beim Eintritt des Unglücks für Kenner deutscher Energiepolitik absehbar. Die Kraftwerke fehlten im Markt und auch Deutschland musste zusätzliche Kohle und Erdgasmengen importieren, was deren Preise noch weiter in die Höhe trieb.

Merke: Zur Marktexpertise gehört im Energiemarkt das Verständnis politischer Mechanismen.

Covid-19

Die Pandemie ist bislang das einzige disruptive Ereignis, das die Energiepreise unerwartet deutlich nach unten gedrückt hat. Die Gaspreise gingen am Spotmarkt bis auf Null runter, die Strompreise erreichten ein Allzeittief. Marktakteure mussten zuviel beschaffte Mengen mit hohen Verlusten zurückverkaufen. DA der vorangegangene Winter sehr mild war, waren die Erdgasspeicher noch sehr gut gefüllt. Die regenerative Stromerzeugung war im Frühjahr 2020 sehr hoch. Gegen solche Ereignisse gibt es keinen Schutz.

Merke: Eine Katastrophe kommt selten allein, häufig ist es ein unwahrscheinliches Zusammenspiel von mehreren Faktoren.

Gaskrise 2021/22

Es hätte jedem Energieexperten klar sein müssen, dass der hohe Anteil russischer Energieimporte, insbesondere von Erdgas in der EU und Deutschland ein Risiko darstellt. Jeder Einkäufer, der ein solches Risiko eingegangen wäre, hätte umgehend sein Büro räumen müssen. Es ist nicht bekannt, dass irgendwelche Politiker oder auch „Energieexperten“, für den entstandenen Schaden im dreistelligen Milliardenbereich zur Verantwortung gezogen worden sind.

Bereits in vorangegangenen Jahren drohte es mehrmals zu Lieferunterbrechungen durch die Ukraine zu kommen. Trump und alle amerikanischen Politiker hatten ihren Unmut über North Stream 2 lautstark kundgetan.

Merke: Die größten Gefahren für den Energiemarkt gehen von der Politik aus.

Fazit

In allen Fällen hätten Markakteure durch frühzeitiges und entschlossenes Handeln den Schaden aus den disruptiven Ereignissen im Energiemarkt merklich begrenzen können. Manche Entwicklung hätte schon in sehr frühem Stadium erkannt werden können.

Es gibt auch heute, wo sich die Strompreise in relativer Ruhe befinden, eine Reihe von Risiken, die zu Preiseskalationen führen können. Allerdings sind das meist nicht die Risiken, über die öffentlich diskutiert wird. Das Unheil kommt immer aus der Richtung, in die man gerade nicht gesehen hat.

Für ein erfolgreiches Agieren am Markt müssen sehr viele Entwicklungen im 360°-Modus genau beobachtet und absolut klar analysiert werden. Nicht viele Akteure können das selbst leisten.

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