Der Begriff Volatilität wird im Strommarkt unterschiedlich benutzt. Klassisch ist die Volatilität definiert als die Schwankung einer Zeitreihe. Zu unterscheiden ist zwischen dem finanzmathematischen Begriff der Volatilität für verschiedene Handelszeitpunkte und der Schwankung von regenerativer Stromerzeugung, Spotpreisen etc. zwischen verschiedenen Lieferzeiträumen.
Finanzmathematische Volatilität
In der Finanzmathematik ist die historische Volatilität eine Kenngröße für das Risikomanagement. Die Volatilität bezieht sich auf den Wert eines Produktes, z.B. einen Aktientitel, den Ölpreis für einen bestimmten Lieferzeitraum und Lieferort, den Goldpreis etc. Häufig handelt es sich um Terminpreise, im Strommarkt z.B. das Base-Produkt für das Frontjahr.
Mathematisch wird die Volatilität wie folgt berechnet: Von den Preisen für ein Produkt zu verschiedenen Handelszeitpunkten werden die natürlichen Logarithmen gebildet. Von diesen Werten werden die Differenzen zwischen den Handelszeitpunkten berechnet. Von diesen Differenzen wird dann Standardabweichung ermittelt. Das Ergebnis ist die Volatilität, ausgedrückt in Prozent. Sie lässt sich dann so interpretieren: Mit einer Wahrscheinlichkeit von 68% liegen die zukünftigen Preise im Bereich des historischen Mittelwertes der Preise plus/minus der Volatilität. Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% liegen die Preise innerhalb der doppelten Volatilität vom Mittelwert. Das gilt nur unter der Annahme, dass die Preise normalverteilt sind. Tatsächlich ist diese Annahme in der Regel nicht zutreffend. Um auf Jahreswerte zu kommen, muss die oben ermittelte Volatilität annualisiert werden, indem sie mit der Quadratwurzel aus der Anzahl der Handelstage multipliziert wird.
Bei der impliziten Volatilität hingegen wird die Volatilität aus den Optionspreisen für das betreffende Produkt ermittelt. Sie bildet somit die Volatilität ab, die der Markt für die Zukunft erwartet. Zwar gibt es im Strommarkt Optionen, aber sie werden kaum gehandelt, weshalb die implizite Volatilität für den Strommarkt eine untergeordnete Rolle spielt.
Die Besonderheit von Strom als Commodity liegt darin, dass die Preise nicht nur von Angebot und Nachfrage nach Strom abhängen, sondern in starkem Maße von den Preisen für die Emissionszertifikate, Erdgas und Steinkohle. Die Volatilität dieser Größen beeinflusst somit die Volatilität im Strommarkt.
Die Volatilität für Stromterminprodukte hängt von dem Lieferzeitraum des Produktes ab. Je kürzer der Lieferzeitraum, desto höher ist die Volatilität. Das liegt daran, dass sich über längere Zeiträume stochastische Schwankungen z.B. beim Wetter eher ausgleichen als bei kurzen Zeiträumen. Außerdem zeigen Erdgaspreise ihrerseits Volatilitäten, die von der Länge des Lieferzeitraums abhängen.
Im Handelszeitraum Juli bis Oktober 2024 betrug die (annualisierte) Volatilität im Strommarkt für Base 2025 27,5%, für Base 2027 hingegen nur 17,5%. Das Quartal 4 2024 war mit 35% volatiler als das Frontjahr und der Oktober 2024 mit 39% noch mehr. Die Volatilität von Erdgasterminprodukten ist in dem betrachteten Zeitraum für kurzfristige Lieferzeitpunkte etwas höher, am langen Ende hingegen etwas niedriger.
Für Emissionszertifikate gibt es nur eine sehr schwache Abhängigkeit vom Lieferzeitpunkt, weil die „Papiere“ sehr kostengünstig, sprich zu Kapitalkosten, „gelagert“ werden können. Da es beim Preis für die Zertifikate am Ende auf den gesamten Zeitraum der vierten Handelsperiode im EU-ETS ankommt, gleichen sich stochastische Schwankungen bei Wetter und wirtschaftlicher Entwicklung teilweise aus. Ein sonniger Sommermonat spielt da eine marginale Rolle. Da das nicht allen Marktteilnehmern klar zu sein scheint, reagiert der CO2-Preis häufig übertrieben. Das hat zur Folge, dass die Volatilität beim Emissionspreis in dem betrachteten Zeitraum bei gut 25% liegt. Die Abhängigkeit von der Lieferfrist ist gering.
Die Volatilitäten sind im Zeitablauf Veränderungen unterworfen. Diese Veränderungen lassen in Verbindung mit der Nachrichtenlage manchmal interessante Rückschlüsse auf die Bewertung von Preisentwicklungen zu.
Schwankungen zwischen den Lieferzeiträumen
Die Schwankungen von regenerativer Stromerzeugung und Stromverbrauch im Zeitablauf sind eine Mischung aus systematischen und stochastischen Veränderungen. Der Stromverbrauch ist an Werktagen in Summe nachts geringer als tagsüber, die Solarstromerzeugung ist tagsüber höher als nachts, wo sie Null ist. Das ist systematisch so. Wieviel Solarstrom produziert wird, hängt zudem stark von der Jahreszeit ab. Bewölkung und Luftfeuchtigkeit hingegen sind stochastische Faktoren.
Wegen der systematischen Veränderungen von einem Lieferzeitraum zum nächsten lässt sich der Begriff der finanzmathematische Volatilität nicht anwenden. Es liegt keine Normalverteilung der Wert vor. Das gilt für Stunden als Zeitraum ebenso wie für Monate. Besser ist es, bei dem Begriff Schwankungen zu bleiben. Für die unterschiedlichen Spotpreise im Tagesverlauf bietet sich zudem die Bezeichnung Spreizung an.
Der Begriff Volatilität findet erst bei mehrjähriger Betrachtung Anwendung. So lässt sich z.B. die Globalstrahlung im Juli über mehrere Jahre betrachten und daraus eine Volatilität bestimmen, mit deren Hilfe eine Prognose der Unsicherheit für die Folgejahre abgeleitet werden kann.
Die Aussage, “die regenerative Stromerzeugung schwankt”, kann somit zweierlei bedeuten: dass die Stromerzeugung nicht jeden Tag und jede Stunde eines Jahres gleich ist oder dass sie von Jahr zu Jahr schwankt.