Seit der Liberalisierung des Strommarktes Ende der 90er Jahre ist der Strommarkt ein Käufermarkt gewesen. Bereits aus Monopolzeiten gab es über 900 Stromlieferanten, zu denen sich mit der Liberalisierung noch Tochterunternehmen von Stromlieferanten aus dem europäischen Ausland, Ökomstromanbieter, netzunabhängige „Billigstromanbieter“ und Tochterunternehmen etablierter Stromlieferanten gesellten.
Abgesehen von den „echten“ Ökostromlieferanten gab es nur ein echtes Unterscheidungsmerkmal bei den Angeboten: den Strompreis. Dementsprechend gab es einen ruinösen Preiswettbewerb der Anbieter, zumal für viele Stromlieferanten die Belieferung eines „großen“ (und namhaften) Kunden eine Statusfrage war, wohingegen betriebswirtschaftliche Vernunft in den Hintergrund trat. Angesichts guter Gewinne aus anderen Geschäftsbereichen, wie z.B. dem Stromnetz, konnten (und wollten) sich viele etablierte Anbieter das leisten.
Freie Anbieter („Billiganbieter“) waren chancenlos, hatten in der großen Mehrheit auch keine vernünftigen Konzepte und verschwanden meist schnell wieder von der Bildfläche. Am Wettbewerb änderte das Nichts, denn wie bei der mythologischen Hydra, tauchten sofort wieder neue Anbieter auf. Stromverbraucher mussten keine Anbieter suchen, es rief regelmäßig ein interessierter Anbieter an. 2016 beschloss die EnBW das Geschäftsfeld Stromlieferung an Großkunden komplett einzustellen. EnBW als einer der ehemals vier großen Stromkonzerne war zu Beginn der Liberalisierung einer der aktivsten Anbieter gewesen.
Der reine Preiswettbewerb hat auch dazu geführt, dass innovative Konzepte, wie strukturierte Beschaffung, Laststeuerung etc. sich nicht angemessen durchsetzen konnten. Sowohl Anbieter als auch Kunden haben KnowHow über Energie und den Strommarkt abgebaut, weil es nicht bezahlt wurde und nicht lohnenswert schien. Die Konsequenz ist, dass 2022 immer noch viele Kunden feste Strompreise für variable Mengen hatten.
Das Jahr 2022 hat dann einen radikalen Umbruch im Markt mit sich gebracht. Einerseits hat E.ON als mit Abstand größter Anbieter im Markt das Geschäftsfeld Industriekundenvertrieb praktisch aufgegeben, andererseits sind viele „Billiganbieter“ von dem Strompreisanstieg weggeschwemmt worden. Gleichzeitig haben viele andere etablierte Anbieter, insbesondere aus dem Stadtwerke-Bereich, endlich die Risiken erkannt, die schon immer da waren, und panikartig das Geschäft runtergefahren.
Deswegen hatten viele Großkunden 2022 z.T. erhebliche Probleme, Stromlieferanten zu finden. Das hat natürlich massive Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation, so dass Anbieter seitdem sehr viel höhere Vertriebsmargen durchsetzen können. Der Strommarkt für Großkunden ist heute ein Verkäufermarkt. Wie so oft bei Marktanpassungsprozessen gibt es derzeit ein Überschwingen von keineswegs kostendeckenden Vertriebsmargen zu teilweise exorbitanten Vertriebsmargen.
Die noch aktiven Anbieter mit tragfähigen Geschäftsmodellen können ihre Kapazitäten so schnell gar nicht hochfahren, denn neben leergefegten Arbeitsmärkten macht auch das politische Wirrwarr das Geschäft schwierig. Anbieter können sich ihre Kunden aussuchen. Wer als Großkunde (vermeintlich) keine ausreichende Bonität hat, bekommt keine Angebote oder muss horrende Preise zahlen. Damit einher geht die Abkehr von überholten Festpreismodellen. Auf Stromkunden kommt derzeit also eine ganze Menge an Herausforderungen und Themen zu.